Monster
- jenthornautorin
- 16. Mai
- 3 Min. Lesezeit
»Nein, Thorn!«, knurrt es unverhofft hinter mir, als ich gerade die ersten Zeilen eines neuen Kapitels beginnen will.
»Nein was?«, frage ich und drehe mich samt Stuhl um. In der unbeleuchteten Ecke meines Arbeitszimmers manifestiert sich ein Schatten.
»Es ist genug. Das geht zu weit.«
»Zu weit? Wollen wir darüber reden, was du schon alles getan hast?«
»Ich? Du hast mich zu den Dingen gezwungen, die ich tat.« Der Mann tritt näher und die zaghaften Strahlen der einzigen Lichtquelle, eine kleine Schreibtischlampe, erhellen die scharfen Gesichtskonturen und den dichten schwarzen Vollbart.
»Rede dir das gerne ein. Wir beide wissen, dass ich die Kontrolle über dich längst verloren habe.«
»Du hast mich zu einem Monster gemacht!« Der Vorwurf kommt laut und hallt im angrenzenden Treppenhaus wider.
»Das hast du ganz alleine hinbekommen«, schleudere ich dem Krieger an den Kopf und verschränke die Arme. »Wollen wir uns das erste Manuskript oder die ersten Entwürfe anschauen? Du warst ein Arschloch, aber hattest dich unter Kontrolle. Seit der Überarbeitung tickst du vollkommen aus und ich muss mit jedem neuen Kapitel Angst haben, dass du einen der anderen Protas killst.«
»Ich verstehe nur einen Teil deiner Worte, doch alles, was ich tue, tue ich, weil du mich zu dem gemacht hast. Du hast mir das angetan.« Eine Klinge blitzt jäh in seiner Hand auf. »Du machst das ungeschehen.«
»Ach ja?« Ich gebe mich unbeeindruckt, muss aber gestehen, dass ich keinerlei Vertrauen mehr in meinen Protagonisten habe. Er würde mich töten, ohne Reue, dessen bin ich mir sicher. »Das geht nicht. Wie du siehst, schreibe ich bereits an Band 3. Band 1 ist veröffentlicht und Band 2 ist ab Dienstag erhältlich. Da ist nichts mehr zu ändern.«
»Verbrenne es!«
»Was? Meinen Probedruck?« Ich greife hinter mich auf den Schreibtisch und halte den wunderschönen Probedruck des Hardcovers von Band 2 in die Höhe.
»Dieses Ding, mit welchem du meine Welt und mein Leben zerstört hast!«
»Meinen Laptop?« Ich zögere, weil ich nicht weiß, wie ich ihm verständlich machen soll, dass das nichts bringen würde, weil damit ja nur mein teurer und nicht mal ein Jahr alter Laptop am Arsch wäre. Ihm irgendwas von doppelten Backups zu erklären wäre wohl vergebene Mühe.
»Wenn du es nicht tust, werde ich dafür sorgen.« Er macht einen weiteren Schritt auf mich und meinen Laptop zu und schnell werfe ich das Buch zurück auf den Schreibtisch, springe auf und stelle mich schützend vor meinen Laptop.
»Weißt du, wie verdammt teuer so ein Teil ist? Ich habe ein Jahr darauf gespart!«
»Menschenleben sollten dir mehr Wert sein.«
»Dumme Idee, Antry. Wir beide sprechen nicht über Menschenleben. Du schlachtest dich durch die Story nicht ich. Von dem Ausflug auf den Friedhof und dem dortigen Gemetzel, fange ich gar nicht erst an. Derzeit frage ich mich tatsächlich, weshalb Iskaii den Namen Schlächter trägt und nicht du.«
»Weil er im Gegensatz zu mir diesen Namen verdient. Er tötet gewollt. Ich aus Zwang.«
»Das ist nicht so ganz richtig ...«
»Mach es ungeschehen!« Seine Hand schießt vor und die Klinge stoppt kurz vor meinem Gesicht.
»Ungeschehen ist nicht. Selbst wenn du mir die Bude abfackelst. Der Zug ist abgefahren. Vielleicht solltest du dein inneres Monster einfach in den Griff kriegen. Klingt das gut?«
»Mein Monster? Nicht ich bin das Monster, sondern du.«
»Okay, Kompromiss: Du zischst ab, überstehst noch ein oder zwei Kapitel Grausamkeiten und am Ende bekommst du dafür die Maid.«
»Dandelias Herz könnte mir gehören?«
»Jap. Das funktioniert aber nur, wenn du mich in Ruhe arbeiten lässt. Wie du weißt, habe ich nicht endlos Zeit, Band 3 zu schreiben.«
»Habe ich dein Wort?«
»Na logo. Du musst dich nur zusammenreißen, dann wird alles gut.« Langsam zieht er die Klinge zurück und geht rückwärts, raus aus dem schmalen Lichtkegel, bis die Schatten ihn wieder verschlucken.
»Wenn du mich belügst, töte ich dich«, flüstert er eine letzte Warnung in die Dunkelheit. Ich nicke, setze mich wieder hin und dehne die Finger.
»Als ob ich bei diesen Idioten auch nur ansatzweise das Ende absehen oder beeinflussen könnte. Aber ein paar Runden Grausamkeiten kann ich garantieren, Antry.«
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