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Freitag, 13. Oktober

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Die Dunkelheit legt sich wie ein erstickendes Tuch über die Welt, als der Freitagabend anbricht - eine Zeit, die normalerweise von Vorfreude und ausgelassener Feierstimmung erfüllt ist. Doch heute fühle ich etwas anderes. Etwas, das meinen Puls zum Rasen bringt und meine Gedanken einhüllt. Es ist der 13. Oktober, dieser verfluchte Freitag, der 13. Oktober.
Bin ich abergläubisch? Nein, ganz und gar nicht. Mein Problem ist nicht das Datum an sich, sondern die unheilvolle Allianz aus Wochentag, Datum und vor allem dem Ort des Geschehens. Ein seit Ewigkeiten verlassenes Militärgelände, das heute zum Schauplatz unseres Vergnügens wird.
An jedem anderen Freitag im Oktober oder in jedem anderen Monat hätte ich keine Bedenken, diesen Ort für unsere hedonistischen Ausschweifungen zu nutzen. Aber dieses Areal hat einen düsteren Ruf. Es ist ein Ort, an dem rätselhaftes Verschwinden, unerklärliche Selbstmorde und grausame Massaker ihre makabre Heimat gefunden haben. Immer an einem Freitag, dem 13. Oktober.
Dennoch ist das Gelände nicht abgeriegelt oder unzugänglich. Ein schmiedeeiserner Zaun, so verwittert wie die Seelen derer, die hier einst ihr Leben gelassen haben, umgibt das verfluchte Grundstück. Doch jeder, der sich auskennt, weiß, dass man sich nur ein wenig in den dichten Wald hineinschleichen muss, um einen verborgenen Durchgang zu finden.
Niemand außerhalb des Areals wird je erfahren, dass sich mitten auf diesen Dutzenden Hektar verfluchter Erde eine wilde, unwirkliche Party abspielt. Wir sind die Ahnungslosen, die, obwohl sie wissen, dass dieser Ort von blutigen Schatten heimgesucht wird, sich mutig in die Dunkelheit stürzen, um einen Freitagabend zu feiern, der in dieser Teufelsnacht niemals stattfinden sollte.
„Komm schon, Liv, verdammt, hör auf zu grübeln und lebe für einen Moment!“ Die Stimme meiner besten Freundin geht im dröhnenden Beat fast unter und der Alkohol hat bereits begonnen, ihre Augen glasig schimmern zu lassen.
„Ich fühle mich nicht gut. Ich muss raus“, hauche ich, während die ohrenbetäubende Musik meine Worte verschluckt. Hastig schleiche ich aus dem verlassenen Hangar, bevor jemand auf die Idee kommt, mich auf die Tanzfläche zu zerren.
Draußen schlägt mir der kühle Atem der Nacht entgegen. Ein trüber Herbsthimmel verdeckt die meisten Sterne, nur vereinzelte Fackeln leuchten mir den Weg. Schemenhaft sind die Umrisse anderer Partygäste zu erkennen, die in kleinen Gruppen stehen, trinken, rauchen und tuscheln.
Ich beschließe, ein paar Schritte zu gehen, vorsichtig, nur auf den halbwegs befestigten Wegen. Ich brauche Abstand von diesem wilden Treiben, um herauszufinden, ob ich überhaupt bleiben will. Vielleicht wäre es das Beste, einfach abzuhauen.
Aber ist es klug, Stef und die anderen hier zu lassen? Was, wenn in den dunklen Wäldern rund um die alten Bunker wirklich etwas lauert? Auf der anderen Seite sind hier bestimmt hundert Menschen versammelt. So viele kann ein Einzelner niemals überwältigen, geschweige denn brutal ermorden, entführen oder in den Wahnsinn treiben.
Die Kälte kriecht mir in die Knochen und meine Schritte hallen durch die Stille, die von unheimlichen Schatten durchzogen wird. Niemand wird mir zuhören, das weiß ich nur zu gut. Selbst Stef hat meine warnenden Worte mit einem verächtlichen Lachen erstickt und mich als verrückt und weinerlich abgetan. Vielleicht hat sie Recht. Vielleicht sind all die schrecklichen Ereignisse, bloß seltsame Zufälle oder wilde Geschichten.
Meine Gedanken sind in dunkle Abgründe versunken, als mir plötzlich bewusst wird, wie weit ich mich von der Halle und dem Fest entfernt habe. Ein Fluch entweicht meinen Lippen. Das war selten dämlich, das gebe ich zu. Panik packt mich, als ich mich abrupt umdrehe und hastig den Rückweg antrete.
Der Wald hat sich verändert, ist in Nebel gehüllt, dichte Schwaden kriechen kniehoch über den verrotteten Boden. Die Stille, die ich vorher nicht wahrgenommen habe, umhüllt mich wie ein Leichentuch. Jeder Atemzug wird zu einem beklemmenden Flüstern in meinen Ohren und meine Haut beginnt zu kribbeln, als würden mich tausend unsichtbare Augen beobachten.
Ich beschleunige meine Schritte, fast ein verzweifeltes Rennen durch die Dunkelheit. Das Gebüsch raschelt, Zweige brechen, und mein Herz rast, als wollte es zerspringen. Warum höre ich keine Musik? Wie kann ich so weit von der Party entfernt sein?

 Und plötzlich erscheinen die Umrisse des Hangers vor meinen Augen. Die Fackeln, einst lebendige Flammen, sind erloschen, die wilden Partylichter im Innern flackern nur noch schwach. Bedrückende Stille umhüllt das Areal, keine fröhlichen Menschen, keine ekstatischen Laute, nur das dumpfe Pochen meines eigenen Herzens. Wie kann das sein? Ich war noch keine Stunde weg. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Ob die Polizei die Party aufgelöst hat?
Meine Schritte sind langsam, unregelmäßig, das Herz rast wild in meiner Brust. Jeder Schritt klingt wie das Donnergrollen eines nahenden Gewitters. Doch plötzlich, ohne Vorwarnung, trete ich auf etwas, eine klebrige Pfütze. Ich zögere einen Moment, will weitergehen, da trifft mich das Unfassbare wie ein Schlag in die Magengrube. Seit einer Woche hat es nicht mehr geregnet.
Zögernd senke ich den Blick auf meine Turnschuhe, die in einer riesigen, dunklen Lache versinken. Aber das ist kein gewöhnliches Wasser. Diese Flüssigkeit wirkt zäh und träge, als sei sie den Albträumen der Hölle entsprungen. Ein finsterer Gedanke drängt sich in mein Bewusstsein, ich kämpfe dagegen an, ihn auszusprechen, aber er nagt an mir wie ein teuflisches Geheimnis.
Mit zitternden Schritten bahne ich mir den Weg zum Eingang. Unter meinen Füßen fließt die dunkle Pfütze, die mich wie ein morbider, blutroter Teppich begleitet. Bei einer der Fackeln sehe ich einen dicken Ast - glaube ich zumindest. Doch je näher ich komme, desto schrecklicher wird die Wahrheit: Auf dem Boden thront ein blutüberströmter Beinstumpf. Ein erschreckendes Bild, das meinen Magen mit eisernen Krallen umklammert und unbarmherzig zusammenzieht.
Übelkeit steigt in mir auf, ein widerlicher Geschmack von Metall und Angst quält meinen Gaumen. Verzweifelt versuche ich, den Brechreiz zu unterdrücken, doch es gelingt mir nicht und ich muss mich vor Ekel und Entsetzen übergeben.
Nach dem schrecklichen Akt der Entleerung spüre ich, wie jede Faser meines Körpers nach Flucht schreit. Doch tief in mir kämpft die Pflicht gegen die panische Angst. Ich kann Stef hier nicht allein lassen. Was ist, wenn sie sich irgendwo in der Dunkelheit des Hangars versteckt, umgeben von der düsteren Brutalität, die sich hier entfaltet hat?
Trotz Angst und Qual kratze ich den letzten Funken Mut aus meinen Tiefen und wage mich auf den riesigen Eingang zu. Schon von weitem dringt ein grässliches Schmatzen an mein Ohr, ein so widerwärtiges Geräusch, dass es mir erneut den Magen zusammenzieht. Doch diesmal gelingt es mir, die Übelkeit zu überwinden.
Als ich schließlich auf der Schwelle stehe, überkommt mich eine unkontrollierbare Welle des Schreckens. Mein ganzer Körper rebelliert, schreit nach Flucht, doch meine Beine sind wie in unbarmherzigen Zement gegossen, und ich kann mich nicht bewegen.
Das Bild, das sich mir offenbart, ist jenseits jeder Vorstellung von Grauen. Die Halle gleicht einem Ort des ultimativen Albtraums. Die Leichen der Partygäste liegen brutal zerschmettert und entstellt wie Totholz aufgestapelt. Blut bedeckt jeden Zentimeter des Bodens und ziert die einst so makellose Haut dieser Unglücklichen. Ihre leeren Augenhöhlen starren wild durcheinander, als ob sie die letzten Momente des entsetzlichen Gemetzels nicht vergessen können. Das stroboskopische Licht, welches die Szene durchzuckt, taucht sie in ein unheilvolles, dämonisches Flackern.
Und dann erblicke ich ES. Inmitten des Berges aus Leichen thront eine Kreatur, die jede Beschreibung in den Schatten stellt. Ihre Erscheinung ist eine Verzerrung dessen, was einst menschlich war. Schwarz, pechschwarz, mit langen Klauen, die wie Dämonenkrallen aus ihren Händen ragen. Die Ohren sind spitz und unverhältnismäßig groß, fast wie die eines verstörten Elfen aus einem finsteren Märchen. Doch das Schrecklichste sind ihre weiß leuchtenden Fangzähne, die in dem flackernden Licht wie der Tod selbst glänzen. Sie sind tief eingedrungen in das Fleisch eines abgerissenen Oberarms, und der Anblick ist so makaber und grausam, dass mir der Atem stockt.
Ein erstickter Schrei entweicht meiner Kehle, und die Kreatur dreht langsam ihren furchterregenden Kopf in meine Richtung. Seine gelben Augen, die vor unheimlicher Intensität glühen, durchbohren mich, während sein Antlitz sich neigt, als besäße er die verdrehte Anmut einer Katze.
Ein markerschütternder, wahnsinniger Schrei zerreißt die Dunkelheit, und ich versuche, meine Beine in Bewegung zu setzen, doch bevor meine Füße den Boden wieder erreichen, packt mich das Grauen mit unbeschreiblicher Gewalt und donnert mich auf den Asphalt. Im Nu sitzt es auf mir, seine langen Beine wie unheilvolle Wurzeln rechts und links neben meiner Hüfte verankert. Ein blutiger Speichelfaden zieht sich von seinen gierigen Lippen.
In einem grausamen Akt der Gewalt und Macht schlägt es seine schrecklichen Krallen in meine Brust, reißt meine Rippen auseinander, als wären sie die zähen Seiten eines uralten Buches. Ihre schattenhaften Finger graben sich in meine Eingeweide und reißen mein wild pochendes Herz heraus, Symbol meiner letzten verzweifelten Lebenskraft. In diesem endlosen Augenblick des Schreckens, während ich meinen letzten Atemzug mache, brennt sich dieses groteske Bild in meine Netzhaut ein. Begleitet mich auf meinem letzten Weg in die Finsternis des Todes, wo Grauen und Qual zu meinen einzigen Begleitern werden.

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