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Urheberrecht ©Jen Thorn & CCK Schildmaid

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Kapitel 1

„Natürlich - ein Friedhof", motzte Liam, währenddessen er durch das reich verzierte Tor in die Dunkelheit dahinter trat. Leises Rascheln war zu hören, als sich eine sanfte Brise durch die Äste der umliegenden Bäume bewegte. Tanzende Schatten einsam brennender Grabkerzen flimmerten entlang des schmalen Weges und schenkten dem Ort der letzten Ruhe einen beinahe gemütlichen Eindruck.
„Es stand doch schon in der Nachricht, dass es einer ist", erwiderte Freya mit einem knappen Kopfschütteln und folgte ihrem Bruder. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich bilde mir deine Intelligenz nur ein." Ein sanfter Lufthauch legte sich auf ihrem Gesicht nieder und schickte ihr ein Frösteln durch die Glieder. „Ich hätte auf der Couch bleiben sollen", murrte sie und vergrub dabei ihre Hände in den Taschen ihrer Sweatjacke.
„Du bist ein Arschloch. Hier ...", knurrte Liam und hielt seiner Schwester eine der Schaufeln entgegen. Widerwillig zog sie ihre Hand wieder aus der wohligen Wärme und ergriff den kühlen Holzstiel. Gähnend legte sie sich diese über die Schulter und kramte nach ihrem Handy.
„Ich bin kein Arschloch. Nur übermüdet und wenn Schildmaid nicht dafür gesorgt hat, dass das Ganze hier lustig wird, werde ich ihr dieses Teil über den Schädel ziehen." Ihr Blick huschte über das Display, um sich dann suchend in der Umgebung umzublicken. Schweigend verließ sie den Hauptweg und betrat einen schmalen Pfad, dessen Ränder von unzähligen, recht neu wirkenden Gräbern bestückt waren.
„Lustig? Wann war jemals etwas lustig, wenn Schildmaid es veranlasst hat? Im Normalfall endet das für uns ziemlich beschissen", spottete Liam, zündete sich eine Zigarette an und schulterte seine Schaufel ebenfalls, bevor er seinen Blick über die Grabsteine gleiten ließ. „Allein, dass sie mich auf einen Friedhof zitiert, zeigt, was für ein Arschloch sie ist."
Selbst Freya konnte gegen diese Argumente nichts einwenden. Ebenso wenig konnte sie gegen das sich ausbreitende, ungute Gefühl in ihrem Magen etwas unternehmen. Etwas stimmte hier nicht. Sie hielt kurz inne und wartete, bis ihr Bruder wieder unmittelbar in ihrer Nähe war.
„Was ist?", fragte dieser sofort mit einem für ihn ungewohnt nervösen Ton.
Sie ließ ihren Blick abermals schweifen, kontrollierte den Standort erneut und lief weiter. 
„Nur so ein Gefühl."

„Super – wie beruhigend." Liam verstärkte den Griff um die Schaufel, zog an seiner Zigarette und machte seinem Unmut weiter Luft. „Und warum sind es schon wieder wir, die hier gebraucht werden? Kann sie nicht ...", doch ehe er weiter jammern konnte, ertönte hinter ihnen eine weitere Stimme.
„Seit wann heult er so viel?", fragte Noraja und trat aus dem Schatten eines mannshohen Grabstein hervor. Ihre weißen Haare waren zu einem wilden Dutt gebunden. In ihrem Gesicht waren selbst in dem wenigen Licht noch Schlaffalten zu erkennen und ihre gesamte Aura verströmte definitiv Unlust.
Freya zuckte mit den Schultern, ohne sie weiter zu beachten. 
„Keine Ahnung. Offensichtlich hat er seine Eier in Irland vergessen."
Ein verstecktes Lächeln zuckte über Norajas Mund, während sie den Shieldzwilling musterte. 
„Das würde einiges erklären."
Liams Mund öffnete sich bereits, als ein weiterer Schatten auftauchte und mit dem Kopf schüttelte. 
„Lass es. Sie ist heute im Angriffsmodus", erklärte Jason und gesellte sich neben ihn.
„Wann ist sie das nicht?", fragte Liam, klopfte Jason zur Begrüßung auf die Schulter und folgte den Frauen, die ihren Weg unbeirrt fortsetzten.
Ein leises Seufzen entfuhr Jason und genügte als Antwort. Die Männer verfielen in ein angenehmes Schweigen. Denn wenn es um Freya und Noraja und die eigene Gesundheit ging, war das so oder so immer der beste Weg. Die Schatten um sie wurden mit jedem Schritt, den sie tiefer in das Gelände traten, undurchsichtiger.
„Also, warum sind wir hier?", fragte Noraja, blickte dabei auf die Schaufel, welche auf Freyas Schulter ruhte, und warf dann einen Blick über die Schulter zu Jason zurück. Auch ihm stand die Müdigkeit noch ins Gesicht geschrieben. Einzelne Strähnen hatten sich aus seinem Zopf gelöst, sein Vollbart stand in alle Richtungen und etwas Weißes schimmerte unter seinem Kinn.

„Du hast dein Shirt verkehrt herum an", raunte Noraja ungläubig und wendete sich wieder ab.
Jason stoppte, sah an sich hinab und rollte die Augen. 
„Klasse." Schnell zog er das Shirt aus, wendete es und fröstelte, als die kalte Luft seine nackte Haut streifte.
„Beim Ficken unterbrochen worden?", fragte Liam grinsend.
„Pfff ... schön wärs", gab Jason knurrend zurück. Schwieg aber und schien ihre vorherigen Aktivitäten nicht weiter erklären zu wollen.
Freya hingegen hielt stöhnend an. 
„Keine Ahnung, was diese Erbsenhirne nun wieder angestellt haben. Aber ich habe auch keinen Bock mehr, hier blind danach zu suchen. Und da ich meine Taschenlampe nicht mit habe und die am Handy nicht heller als eine unnütze Kerze ist", sie blickte zu Noraja: „Siehst du was?"
Diese sog einen tiefen Schwall Luft ein und konzentrierte sich. Stück für Stück suchte sie die Umgebung ab, bis sie die Hand hob und auf einen Punkt zeigte. Verborgen zwischen hohen Bäumen schimmerte etwas im sanften Mondlicht.
„Da...", sie stockte, runzelte die Stirn und drehte sich langsam um ihre eigene Achse. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf einen entfernten Punkt und ihre Mundwinkel zuckten. „Und wir sind nicht allein."
Prickelnde Anspannung stieg in Liam, Jason und Freya auf und ließ sie zeitgleich nach ihren Waffen greifen. Jason schloss sofort zu Noraja auf, doch diese schien seine Anwesenheit nicht wahrzunehmen. Ein Hauch von Vorfreude durchströmte sie. Schwarze Schlieren pulsierten durch ihre Augen, während sich ihr Mund zu einem breiten Grinsen verzog. 
„Schön dich wiederzusehen", raunte sie plötzlich in das Zwielicht, aus dem klirrende Geräusche ertönten.

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Kapitel 2

"Und aus welchem Grund wurden wir nun in diese seltsame Welt gerufen?" Iskaiis Stimme war ruhig, doch seine intensiven grünen Augen spiegelten eine Mischung aus Neugier und Anspannung wider. Der Nebel, der um sie herum schwebte, schien sich mit jedem Schritt tiefer in die Knochen zu fressen, als hätte er ein eigenes Bewusstsein. Seine Hand ruhte auf dem verzierten Knauf seines Langschwertes – eine Geste, die äußerlich entspannt wirkte, doch hinter dieser scheinbaren Gelassenheit lauerte höchste Wachsamkeit.
„Jen und CCK haben irgendeinen Bockmist verzapft, wenn ich die Nachricht richtig deute", erklärte Samantha mit einem genervten Seufzen, während sie das Handy in die Hosentasche zurückschob. Ihre Finger trommelten noch einen Moment lang ungeduldig auf dem Rand der Jeans, als könnte sie ihre innere Unruhe nicht ganz abschütteln.
Dandelia beobachtete jede ihrer Bewegungen mit wachsamen Augen. Eine ihrer hellen Augenbrauen hob sich langsam.
„Bockmist? Was soll das bedeuten?", fragte sie. In ihrer Welt gab es klare Worte für klare Dinge, keine dieser unverständlichen Phrasen, die Samantha so beiläufig verwendete. Diese spürte den prüfenden Blick auf sich lasten und unterdrückte den Impuls, die Augen zu verdrehen.
„Bockmist", wiederholte sie, während sie mit einer Hand hilflos gestikulierte, als könnte sie die Bedeutung einfach aus der Luft greifen. „Sie haben etwas verbockt, irgendeinen Mist gebaut, wahrscheinlich einen Fehler, der uns noch viel mehr Ärger einbrocken wird."
Dandelia blinzelte und musterte Samanthas Kleidung, die in ihren Augen so unpraktisch wirkte. Zerrissene Jeans, flache Stoffschuhe – die sie Chucks nannte – ein schwarzes Shirt und darüber eine braune Lederjacke. Noch suspekter waren ihr allerdings die Gerätschaften, die summten, leuchteten und piepten, ohne dass sie deren Sinn verstand. Das silberne Ding, das Samantha eben hatte in die Hosentasche gleiten lassen – ein „Handy", wie sie es nannte – löste in Dandelia eine eigentümliche Mischung aus Neugier und Abneigung aus. In ihrer Welt gab es nichts dergleichen.
„Sie sind in der Lage, uns aus dem Nichts zu erschaffen und uns Befehle zu erteilen. Doch mit sich selbst und den Gegebenheiten dieser Welt sind sie überfordert." Ein bitteres Schnauben entwich Iskaiis Lippen, ein Ausdruck seiner Verachtung und Verzweiflung zugleich. Ihre Erschaffer wirkten unbesiegbar, wenn sie neue Welten erschufen und ihren Kreaturen Leben einhauchten. Doch wenn es um die Bewältigung der eigenen Wirklichkeit ging, versagten sie kläglich.
Iskaii blickte sich um, seine Augen glitten über die verlassenen Straßen. Ein gespenstisches Schweigen lag in der Luft, nur unterbrochen vom gelegentlichen Rascheln toter Blätter, die über den rissigen Asphalt tanzten. Er erblickte das Schild, welches an der alten Steinmauer hing. Es war alt und verwittert, die Schrift kaum noch lesbar. Der Rost fraß sich in die Ecken des Metalls und der Text war fast unleserlich. Doch er trat näher, bis er die Worte entziffern konnte:
„Alter Friedhof." Ein sarkastisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

 „Was war doch gleich der Grund, warum wir sie nicht einfach töten dürfen?" Antrys Stimme war tief und kehlig, ein bedrohliches Grollen, das wie Donner widerhallte. Seine braunen Augen verborgen unter der Kapuze seines abgewetzten Mantels - bedrohlich und voller Finsternis. Dandelia stand neben ihm, unbeeindruckt von seiner finsteren Aura.
„Gleicher Grund, der dich davon abhält, Iskaii zu töten ..." Ihre Stimme war sanft, aber mit einer kühlen, messerscharfen Kante versehen, die deutlich machte, dass diese Worte nicht zur Diskussion standen. Ihre eisblauen Augen blitzten auf, als sie den Blick fest von Antry auf Iskaii richtete. „... und andersherum."
Antry kniff die Augen zusammen und seine Kiefermuskeln spannten sich an. Er wusste, dass sie Recht hatte und das ärgerte ihn noch mehr als die Tatsache, dass er seinen Blutdurst nicht stillen konnte.
Samantha stieß hörbar die Luft aus.
„Wenn ihr jetzt genug gezickt habt, können wir dann bitte endlich nachsehen, warum wir hier sind?", fragte sie mit schneidender Stimme und band ihre roten Locken zu einem hohen Zopf zusammen.
Die anderen blinzelten sie nur perplex an. Ihre Gesichter – eine Mischung aus Verwirrung und Ahnungslosigkeit – wirkten, als hätten sie keine Vorstellung davon, wie viel Geduld Samantha bereits aufgebracht hatte.
„Ge-was?"
Samanthas Augen verdrehten sich und sie unterdrückte den Drang, sich an den Schläfen zu reiben. Verzweifelt suchte sie nach einem Funken Intelligenz in ihren Gesichtern, fand aber nur Leere und unerschütterliche Sturheit.
„Oh mein Gott", murmelte sie zu sich selbst. „Warum zur Hölle musste Jen ausgerechnet Neandertaler erschaffen?"
Ein leises, zynisches Lachen entkam ihr, während sie sich zwang, die Fassung zu bewahren. Sie setzte ein Lächeln auf, das so freundlich wie bedrohlich war. „Nicht so wichtig", sagte sie dann mit übertriebener Fröhlichkeit, als spräche sie zu Kindern. „Vorwärts jetzt."
Sie wandte sich abrupt ab, bevor noch jemand auf die Idee kam, weiter nachzufragen.
Entschlossen kletterten sie über das kühle Metall des Friedhofstors. Das alte Eisen knarrte leise, als ihre Sohlen auf der Spitze Halt fanden, bevor sie elegant auf die andere Seite hinabsprangen. Der Mond schien schwach durch den Nebel, der sich wie ein grauer Schleier über die Gräber legte. Sie landeten fast lautlos auf dem Asphalt und für einen Moment herrschte eine gespenstische Stille. Kein Wind, kein Rascheln der Blätter. Nur die Dunkelheit, die sich um sie schlang wie eine unsichtbare Bedrohung.

Iskaii versteifte sich augenblicklich, seine Augen weiteten sich und seine Nackenhaare stellten sich auf. Eine kalte Welle von Unbehagen durchfuhr ihn, als hätte jemand Eiswasser in seine Adern gegossen.
„Irgendwer ist hier", flüsterte er, seine Stimme kaum mehr als ein tiefes Raunen.
„Das ist bloß Antry", murmelte Dandelia, doch auch sie wirkte nicht mehr ganz so sicher. Antrys Präsenz war wie eine dunkle, brodelnde Wolke. Doch das hier ... das war anders. Fremd. Bedrohlich.
Iskaiis Blick wanderte über die stillen Schatten, doch nichts bewegte sich. Und doch gewahrte er etwas. Eine vibrierende Präsenz, die sich in seine Wahrnehmung schob, sich in seine Gedanken grub. Etwas, das ihn warnte, als würde es mit unsichtbaren Fingern an seiner Seele kratzen.
„An dessen abscheuliche Aura habe ich mich gewöhnt", zischte er, während seine Hand zum Griff seiner Waffe glitt. „Das hier fühlt sich anders an. Ebenso dunkel, aber anders."
Seine Worte hingen schwer zwischen ihnen, bevor sie von der Dunkelheit verschluckt wurden. Schnell zogen sie ihre Waffen. Metall rieb leise auf Leder, als die Klingen herausgezogen wurden. Das Klicken der Handfeuerwaffe, die entsichert wurde, klang wie ein Donnerschlag.
Antry schob sich die Kapuze vom Kopf. Das fahle Licht legte seine markanten Gesichtszüge frei – kantig und hart. Seine Augen blitzten, kalt und berechnend.
„Ich weiß, wer hier ist", sagte er schließlich, seine Stimme ruhig, aber mit einem Unterton, der jeden anderen hätte zittern lassen.
Zielstrebig und mit düsterer Gelassenheit schritt er voran. Er wählte einen der beiden Pfade, der tiefer in die Schatten des Friedhofs führte, als wüsste er genau, wohin er musste. Die anderen folgten ihm. Wachsam, ihre Sinne geschärft wie Raubtiere, die den Hauch eines unsichtbaren Feindes spürten.

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Kapitel 3

Mit angespanntem Kiefer starrte Freya auf die Schemen, die sich durch die Dunkelheit bewegen. „Wer ist das?", fragte sie erneut und beobachtete aus dem Augenwinkel heraus Noraja. Während sich jeder Muskel in Freya auf einen Kampf vorbereitete, schien diese völlig entspannt zu sein. Sie grinste immer noch, obwohl sie keine Antwort auf ihren Ruf erhalten hatten. 
Jason war zurückgetreten, als auch er verstand, dass etwas nicht stimmen konnte. Liam hatte sich schützend an die Seite seiner Schwester geschoben und gemeinsam zielten sie in die Dunkelheit. All das trieb Freya ein übles Gefühl in den Magen. Mit einer schnellen Bewegung ließ sie ihre langen Haare unter der Kapuze verschwinden und trat synchron mit Liam einen Schritt zurück.
„Ein Freund", erwidert Noraja nach einer Weile und hob dabei das Kinn.
Ein starker Windzug rauschte durch die Baumkronen und ließ die morschen Äste aufschreien. Schlagartig riss die dichte Wolkendecke auf und das kalte, weiße Mondlicht spiegelte sich tanzend in den Sichelklingen wider, welche in Norajas Händen ruhen.
„Bei jedem anderen hätte mich diese Aussage beruhigt. Diese Worte aus ihrem Mund zu hören, erweckt eher das Gefühl, flüchten zu müssen", knurrte Liam, verstärkte den Griff um seine Waffe und fixierte die näherkommenden Gestalten.
„Ich dachte, Greenbloods flüchten nicht?", spottete Noraja und warf ihm einen amüsierten Blick zu.
Liam streckte ihr den Mittelfinger entgegen. 
„Wir riskieren unser Leben aber auch nicht für Bullshit."
„Mimimi ...", Noraja rollte dabei die Augen und sah wieder nach vorn. „Dann hättet ihr die Nachricht von Schildmaid besser ignorieren sollen. Ich bezweifle, dass das hier kein Bullshit wird und jetzt ...", sie senkte ihre Sichelklingen, „steckt die Waffen weg. Euch passiert nichts. Es ist wirklich ein Freund."
„Auf gar keinen Fall", erwiderte Liam spöttisch.
„Ein todbringender Freund?", fragte Jason, dessen Waffe ebenfalls noch auf die näherkommenden Gestalten zielte.
Noraja hob die Braue und warf ihm einen fragenden Blick zu. 
„Haben wir noch eine andere Sorte von Freunden?"
Eine eigenartige Aura erreichte Freya. Ein Duft oder vielleicht war es auch einfach nur Einbildung, doch schlagartig fiel die Anspannung von ihr ab und sie seufzte. Sie senkte ihre Pistole, verstaute sie unter ihrer Sweatjacke und trat wieder nach vorn zu Noraja.
„Bist du noch ganz dicht", knurrte Liam, als er ihre Reaktion beobachtete.
„Nein, aber ich weiß, wer da kommt. Ich bin ihm schon begegnet. Unsere Waffen werden uns in diesem Fall nicht helfen und schon gar nicht am Leben halten."
Liam und Jason senkten sich einen unsicheren Griff und entschieden schweigend, dass ihre Waffen genau an dieser Stelle verbleiben würden. Die Schemen wandelten sich endlich zu Schatten, deren Umrisse menschliche Formen annahmen und nach zwei weiteren Atemzügen, erkannten auch die beiden, wer sich soeben in ihre Runde gesellte. Dennoch ließ diese Tatsache keine Freude aufkommen. Eher das Gegenteil. Jen Thorn hatte offensichtlich ihre Protagonisten freigelassen und das konnte nur Ärger bedeuten.
Noraja hingegen lachte leise, neigte den Kopf und fixierte den Dunkelhaarigen, der die Gruppe anführte. 
„Antry. Was verschafft mir die Ehre eines erneuten Aufeinandertreffens?"
Ein Lächeln breitete sich langsam auf Antrys Lippen aus, die unter seinem dichten, schwarzen Vollbart nur zu erahnen waren. Sein Lächeln war weder warm noch einladend, sondern trug etwas Unergründliches in sich, etwas, das sowohl eine stumme Warnung als auch eine unausgesprochene Botschaft transportierte.
Dandelia und Iskaii tauschten einen kurzen Blick, das stille Einverständnis, dass Vorsicht geboten war. Ihre Finger schlossen sich fester um die Schwertgriffe und ihre Muskeln spannten sich an.
Auch Samantha, die etwas abseits stand, gefiel diese unerwartete Reaktion keineswegs. Ihre Augen verengten sich misstrauisch, als das Lächeln von Antry breiter wurde. Locker, aber entschlossen legte sie den Zeigefinger auf den Abzug.

 Doch bevor die Situation eskalieren konnte, erklang die tiefe Stimme von Antry.
"Noraja", sagte er und mit einer unerwarteten Wärme in seinem Blick trat er vor und zog die Fremde in eine feste Umarmung. Ihre Arme fanden ihren Weg um seine Schultern und ihre Augen suchten kurz die von Samantha und den anderen - prüfend und argwöhnisch.
Antry löste sich aus der Umarmung, legte eine Hand sanft auf ihre Schulter und fügte mit einem ernsten Unterton hinzu:
"Glaub mir, ich würde mich gewiss nicht erneut in diese verwirrende Welt wagen, wenn diverse Personen dazu fähig wären, ihre Belange selbst zu regeln." Seine Worte klangen wie ein bitterer Scherz, gehüllt in einen Mantel aus resignierter Akzeptanz.
Samantha spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte, als sie die Fremde musterte. Der Mond warf silberne Lichtstreifen durch die dürren Äste und verfing sich in ihrem weißen Haar.
"Wer ist das?", flüsterte sie.
Iskaii ballte die freie Hand zur Faust. Seine Knöchel traten weiß hervor, als er leise knurrte:
"Jemand, dem ich ohne zu zögern meine Klinge ins Herz rammen würde."
Dandelia verdrehte genervt die Augen. Eine schwache Spur von Verärgerung lag in ihrem Gesicht, gemischt mit einer Art nachdenklicher Gelassenheit. Sie konnte die dunkle Aura der Fremden spüren – sie war wie eine kalte Welle, die langsam über ihre Haut kroch und ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Trotzdem rührte sie sich nicht - noch nicht.
"Nicht alles, was bedrohlich wirkt, ist auch gefährlich. Du solltest endlich lernen, dass der erste Eindruck oft trügerisch ist."
Iskaii funkelte sie an, als wollte er widersprechen, doch dann schloss er den Mund wieder und blickte erneut zu den Fremden.
Dandelias Blick ruhte auf Antry. Ein weiteres Beispiel für Iskaiis voreiligen Hass. Der Krieger hielt Antry für gefährlich - jemanden der in der Dunkelheit lauerte, bereit, seinen Dolch in den Rücken eines Unschuldigen zu stoßen. Doch Antry war das Gegenteil – zumindest meistens. Je nachdem, wer ihm gegenüberstand, konnte er entweder ein verlässlicher Verbündeter oder ein äußerst tödlicher Feind sein.
„Du solltest ab und an Vertrauen haben, Iskaii", sagte Dandelia mit ruhiger Stimme, während ihr Blick auf der Gruppe ruhte. Fremde, ebenso seltsam gekleidet wie Samantha und mit offenkundigem Misstrauen in den Augen.
Ein leises, raues Schnauben entfuhr Iskaii:
„Vertrauen? In was, Bra'Noriia?" Seine Stimme war wie kaltes Eisen. „Ich vertraue in mich selbst, in meine Fähigkeiten und in mein Schwert." In seinen Worten lag eine Sicherheit, die keine Prahlerei war – nur das ruhige Wissen um die eigene Stärke. „Das solltest du inzwischen gelernt haben", fügte er leise hinzu, als sei diese Lektion eine, die er unzählige Male wiederholen musste.
Der Hauch eines Lächelns umspielte Dandelias Lippen. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass sich hinter dieser stoischen Fassade mehr verbarg.
„Vertrauen ist nicht immer Schwäche, Iskaii." Ihre Augen suchten die seinen, versuchten, die Mauer zu durchdringen, die er so sorgfältig errichtet hatte. „Manchmal ist es eine Entscheidung, die mehr Mut erfordert, als auf sich selbst gestellt zu sein."
Iskaiis Kiefermuskeln spannten sich an.
„Mut?", wiederholte er mit einem sarkastischen Unterton. „Mut liegt darin, nicht auf andere angewiesen zu sein. Wenn der Moment kommt, in dem nur deine eigene Stärke dich retten kann, verlasse ich mich auf mein Schwert. Alles andere ... wird sich zeigen."
Dandelia schüttelte leicht den Kopf und ließ einen Seufzer entweichen, der mehr Gewicht trug als ihre Worte.
„Ich sage es ungern, aber irgendwie mag ich deine Denkweise, Iskaii", warf Samantha ein. Ihr Blick war starr auf die kleine Gruppe gerichtet, ebenso wie ihre Waffe. Anspannung lag in der Luft, spürbar wie das Knistern vor einem drohenden Gewitter.
Iskaii, dessen grüne Augen die Fremden eingehend musterten, holte gerade tief Luft, um etwas zu erwidern, als plötzlich Dandelia das Schweigen durchbrach.
„Ich vertraue Antry", erklärte sie mit einer Stimme, die ruhig und doch durchdrungen von einer tiefen Überzeugung klang. „Wäre sie feindselig, wäre sie bereits tot."
„Irgendwann bringt dein Vertrauen in diesen Krieger dich noch ins Grab. Und verzeih, wenn ich dich dann nicht vor ihm retten werde."
Dandelias Herzschlag beschleunigte sich, die Worte brannten sich in ihren Verstand ein wie ein giftiger Dolch. Doch sie ließ sich nichts anmerken, ihre Züge blieben unbeeindruckt, auch wenn es in ihr brodelte.
„Genug gequatscht", fauchte Samantha schließlich, ihre Stimme schneidend und ungeduldig. Sie trat näher an Antry heran, ihr Körper spannte sich an wie die Sehne eines Bogens, bereit, sich bei der geringsten Provokation zu entladen. Die Rothaarige richtete ihren Blick auf die Gruppe, die sich vor ihnen aufgebaut hatte. In den Gesichtern der Fremden lag etwas Unbekanntes, ein Ausdruck, der sie an ein Raubtier erinnerte, das nur darauf wartete, zuzuschlagen.
„Wer seid ihr?", begann sie, ihre Stimme noch schärfer. „Was wollt ihr? Und woher zum Henker kennst du diesen Neandertaler?"

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Kapitel 4

„Schön zu sehen, dass nicht nur unsere Schöpferin dunkel, wie die Nacht ohne Mond ist", erwiderte Noraja, schenkte Antry ein ernst gemeintes Lächeln und trat einen Schritt zurück. Die Fragen der Rothaarigen ignorierte sie, ebenso wie die brennenden Blicke, die auf ihr lagen.
Freya hingegen suchte ebendiese. Die Anspannung zwischen den Gruppen war aufgeladen. Nahezu explosiv und doch vertraute sie Noraja. Nicht, weil diese sich dieses Vertrauen erarbeitet hatte, sondern weil Freya keine andere Wahl hatte. Sie war bei der ersten Begegnung zwischen Antry und Noraja dabei gewesen. Hatte gespürt, wie ihre Auren sich verbanden und zu etwas Tödlichem wurden. Kugeln und Klingen würden diese beiden Wesen nicht aufhalten.
Und – Freya kannte ihre Grenzen und die lagen eindeutig bei ihrer Sterblichkeit.
"Vielen Dank dafür, Schildmaid", murmelte sie und verfluchte ihre Schöpferin erneut. Sie konzentrierte sich auf Antrys Begleiter. Zwei von ihnen, gehörten eindeutig nicht in dieses Universum. Das zeigten die Schwerter und die mehr als altertümlichen Klamotten. Dennoch versprühten sie nicht dieselbe Art von Gefahr. Blieb nur zu hoffen, dass sie sich nicht irrte.
Die Rothaarige hingegen schien zumindest dieselbe Sprache zu sprechen, auch wenn ihre Feindseligkeit und Skepsis aus allen Poren quellten. Ungeduldig zielte sie mit der Waffe auf sie und wiederholte ihre Fragen.
Noraja reagierte mit einem Knurren und wirbelte zu ihr herum. 
„Ich wüsste nicht, was dich das alles angeht." Ihre schwarzen Augen pulsierten stärker und das Zucken von Norajas Kiefer kündigte ein kommendes Unheil an. Freya verschränkte die Arme vor der Brust und schob sich neben sie. Vielleicht waren sie keine Freunde, aber sie stand lieber an Norajas Seite, anstatt ihr gegenüber.
„Ich denke, wir stellen hier die Fragen. Wer seid ihr? Was wollt ihr und warum seid ihr mit diesem ... Schattenkasper unterwegs?"
Die Rothaarige zuckte nicht einmal mit der Wimper. Liam und Jason spannten sich an. Richteten ihre Waffen neu aus und warfen sich einen unauffälligen, aber mehr als deutlichen Blick zu. 
„Das endet übel."
Ein tiefes Knurren entwich Antrys Kehle, so tief, dass es die Luft zum vibrieren brachte. Seine Augen, die sonst von einem warmen Braun beseelt waren, verdunkelten sich langsam, bis die Iriden in einem unheilvollen Schwarz erstrahlten. Es war, als ob ein Schatten seine Seele umhüllte und jeder, der in seine Augen sah, spürte die Kälte der Dunkelheit, die aus ihm heraus strömte. Seine Hand wanderte wie von selbst zu dem Griff seines Schwertes und seine Finger umschlossen das kühle Leder, bereit, es zu ziehen.
 
Iskaii machte einen blitzschnellen Satz nach vorn, seine Bewegungen waren so schnell und flüssig, dass sie kaum nachzuvollziehen waren. Seine Klinge schimmerte wie der Silbermond und ihre Spitze zeigte bedrohlich auf die Gruppe. Die grünen Augen glühten vor Zorn, ein Sturm tobte in seinem Inneren und es brauchte all seine Selbstbeherrschung, um nicht sofort zuzuschlagen.
"Ich verstehe nur die Hälfte Eurer seltsamen Worte", zischte er mit kalter, schneidender Stimme, "aber ich an Eurer Stelle würde meine Zunge hüten."
Samanthas Griff um die Pistole war fest, ihre Finger lagen angespannt am Abzug.
„Ich bin selten einer Meinung mit diesen Höhlenmenschen. Aber diesmal schließe ich mich ihnen an. Ich habe zuerst gefragt", wiederholte sie eindringlich, als wollte sie die Ernsthaftigkeit ihrer Worte in das Bewusstsein ihrer Gegenüber brennen. „Und ihr solltet antworten, wenn ihr keine Kugel im Kopf riskieren wollt."
Freya stand reglos da, ihre Augen fixierten Samantha. Diese ließ ihren Blick für einen Moment zu Iskaii und Antry gleiten. Ihre Hände krampften sich leicht um den Schaft ihrer Waffen.
„Oder kalten Stahl in euren Eingeweiden", fügte die Rothaarige mit einem gefährlich leisen Tonfall hinzu.
Dandelias Stimme, obwohl zögerlich, durchbrach die Anspannung wie ein leiser Windhauch in einem Sturm.
„Besteht die Möglichkeit, nicht gleich Blut zu vergießen?" Ihre Worte klangen fast flehentlich, als ob sie verzweifelt einen Weg suchte, den bevorstehenden Konflikt zu vermeiden.
Samanthas Augen wandten sich langsam zu ihr. Die schroffe Entschlossenheit in ihrem Blick wich einer kurzen, kaum merklichen Irritation, die jedoch schnell wieder hinter einem undurchdringlichen Schleier verschwand.
„Ein Freund also?", wiederholt Freya zynisch und warf einen kurzen Blick zu Noraja, deren Iriden mittlerweile sämtliche Farbe verloren hatten. Sie hatte sich von Antry abgewandt und starrte die Frau hinter ihm an. Ihre Nasenflügel bebten. Ihr Blick huschte zu Jason, doch dieser schüttelte mit dem Kopf. Resignation. So viel zum Thema, dass er Noraja unter Kontrolle hatte und dass diese Situation ohne den Tod enden würde.
Mit einem schweren Atemzug trat sie zurück, zog dabei ihre Klingen aus der Halterung von ihrem Rücken und drehte sich zu Iskaii.
„Ich nehm dann wohl ihn."
Liam nickte und richtete seine Waffe auf die Rothaarige. 
„Sorry Süße, aber niemand zielt auf meine Schwester."
Jason sah zu den Zwillingen und trat augenrollend aus deren Schatten. 
„Und ich bekomm den Bekloppten?" Als diese nicht reagierten, stupste er Freya mit dem Ellenbogen an. „Können wir tauschen? Antry und du ... ihr scheint es miteinander aufnehmen zu können. Meine Chancen stehen da eher beschissen."
Noraja schnaubt. 
„Nein. Ihn mag ich."
Jason verzog das Gesicht. 
„Und mich liebst du! Zumindest dachte ich das!"
„Alter, in welcher Welt lebst du eigentlich?", fragte Liam und spannte seinen Finger um den Hahn.
„In einer, wo ich von der Couch geholt werde von einer Autorin, die ihre letzten Hirnzellen offensichtlich versoffen hat und mich mit euch Irren auf ein Selbstmordkommando schickt. Sollte ich das irgendwie überleben, verpasse ich ihr erst eine Kugel und frage dann, warum sie uns hierher beordert hat." Seine Worte hallten durch die aufgeladene Stille des Friedhofes. Doch plötzlich schlich sich Irritation durch das Gesicht der Frau, die Liam gegenüberstand.

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Kapitel 5

„Wiederhol das", befahl Samantha mit fester Stimme, ohne die Waffe auch nur einen Millimeter zu senken. „Autorin? Seid ihr die Schöpfung von CCK?"
Dandelia ließ die Worte in der Finsternis des Friedhofs verhallen, während sie die Fremden musterte. Jede Faser in ihr war angespannt, ihr Herz schlug einen schnellen, nervösen Rhythmus, der sich in ihrer Brust bemerkbar machte. Langsam, fast mechanisch, ließ sie das Schwert sinken. Es war kein Akt der Kapitulation, sondern eher eine Geste der Reflexion, als ob das Gewicht der Enthüllung sie dazu zwang, innezuhalten.
„Das würde das ein oder andere erklären", murmelte sie.
"Was erklären?", schnaubte Iskaii, seine Stimme vibrierte vor unterdrücktem Zorn. "Dass diese Fremden ihre seltsamen Waffen auf uns richten, als wären wir nichts weiter als Beute? Dass sie keine Manieren besitzen, geschweige denn Respekt?"
"Verzeih mir", begann sie, ihre Stimme klang weich, aber bestimmt, wie Samt, das über Stahl gezogen ist. "Aber gleich, was du glaubst, Iskaii, sobald du dich in irgendeiner Weise bedroht fühlst, sind es deine Manieren, die als erstes in Frage gestellt werden."
Iskaiis grüne Augen waren stürmisch und dunkel und es wirkte, als würde er gegen den Impuls ankämpfen, etwas – oder jemanden – zu zerschmettern. Kurz glitt sein Blick über seine breite Schulter zu Dandelia. Es war ein Blick, der die Luft zum Stillstand brachte, ein stummes Versprechen von Konsequenzen.
"Wage es nicht, Bra'Noriia", knurrte er, seine Stimme kaum mehr als ein bedrohliches Flüstern. Dandelia hielt seinem Blick stand, ließ sich nicht einschüchtern und ihre Haltung blieb aufrecht, während sie sich der stürmischen See von Iskaiis Zorn stellte.
"Offensichtlich hat sie es schon gewagt", bemerkte Samantha und rollte die Augen. Abschätzend und kühl wanderte ihr Blick über die Anwesenden. 
„Wenn ihr wirklich aus CCKs kranken Hirn stammt", begann sie, ihre Stimme nun leiser, „dann weiß ich genau, was ihr hier wollt." Sie machte eine Pause, während ihre Worte wie Gift in die Stille tropften. „Ihr seid hier, um hinter unseren beiden grandios dämlichen Schöpfern aufzuräumen, weil die sich wieder einmal nicht im Griff hatten." Samantha holte tief Luft. „Ernsthaft, Jen, irgendwann mache ich dich kalt."
Freya musterte die Rothaarige noch einen Augenblick, doch als das ungute Gefühl in ihrem Magen abflachte, traf sie eine Entscheidung. 
„Waffen runter!" Sie selbst ließ die Hände und somit ihre Klingen sinken und untermalte damit ihren Befehl.
Liam zögerte, doch Freyas Ton zeigte ihm bereits, dass es keine Grundlage für eine Diskussion geben würde. Langsam senkte er seine Waffe. 
„Jen also. Ich hab dir gesagt, dass wir die beiden trennen müssen. Jetzt haben wir die Scheiße."
„Wartet, wollt ihr sagen, dass es noch so eine Bekloppte wie Schildmaid gibt?", warf Jason ein, ließ seine Waffe verschwinden und lehnte sich zu Noraja, die immer noch in einer Art Trance zu hängen schien. „Hör auf!"
Es dauerte weitere Atemzüge, bis diese sich ebenfalls entspannte und sich das Schwarz in ihren Augen durch eisblaue Iriden ersetzte. Ein freudloses Lächeln zuckte über ihre Lippen und langsam beruhigte sich ihr rasender Puls. 
„Schade, das hätte... gut werden können."

„Natürlich gibt es mehr als eine von denen", knurrte Liam und seine Zornesfalte auf seiner Stirn wurde zu einer tiefen Furche.
Freya trat auf die Rothaarige zu. 
„Freya und ich glaube, mir gefällt deine Einstellung. Und zu deiner Frage: Ja, wir gehören zu Schildmaid. Nur hat sie uns nicht gesagt: Warum wir hierher kommen sollen." Ihr Ton war freundlich und sämtliche Feindseligkeit verschwunden. Sie saßen offensichtlich im selben Boot.
„Und das wir hier auf euch treffen, hat sie wohl auch vergessen zu erwähnen", fügte Liam hinzu und steckte seine Waffen weg. Sein Blick hingegen ruhte weiterhin misstrauisch auf Antry und Iskaii.
Freya strich sich die Kapuze vom Kopf und kniff sich in den Nasenrücken.
„Sie haben also wieder maßlos die Kontrolle verloren?"
„Diese hirnverbrannte Möchtegern-Autorin raubt mir noch den letzten Nerv", murrte Samantha und sicherte ihre Waffe. Ihr grüner Blick, durchdrungen von Wut und Frustration, glitt zu den beiden Kriegern. Ihre Blicke funkelten misstrauisch und jeder ihrer Atemzüge schien die Luft um sie herum zu verdichten, als wären sie nur einen Moment von einer unkontrollierten Explosion entfernt.
„Echt jetzt, Jungs?!", fauchte sie und trat einen Schritt nach vorne. „Kriegt euch wieder ein! Wir sitzen im selben beschissenen Boot."
Iskaii funkelte sie durch schmale, grüne Augen an.
„Woher sollen wir wissen, dass das kein Trick ist, um uns in Sicherheit zu wiegen?", fragte er und seine Stimme trug den kalten Klang von Argwohn. Das Schwert in seiner Hand schien eine Verlängerung seiner selbst zu sein, so sicher und fest hielt er es.
Die Rothaarige spürte, wie sich die Spannung in ihrem Nacken verstärkte, ein dumpfer Schmerz, der ihre Geduld weiter zermürbte.
"Gleich jage ich dir die Kugel in den Kopf. Schwert runter!"
Dandelia trat langsam vor, ihre Schritte kaum hörbar auf dem kühlen Boden. Ihr Blick war entschlossen, aber auch von einer tiefen inneren Ruhe geprägt, als sie sich zwischen die beiden Krieger stellte.
Antry stand wie eine Statue, seine Muskeln so straff gespannt, dass jede Faser seines Körpers zu vibrieren schien. Seine Iriden, die sonst in warmem Braun leuchteten, waren nun tiefschwarz, ein Abbild des Sturms, der in seinem Inneren tobte. Jeder Atemzug, den er nahm, war eine kontrollierte Anstrengung, ein ständiger Kampf gegen den Zorn, der ihn zu überwältigen drohte. Seine Hände umklammerten den Schwertgriff so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
„Iskaii, lass dein Schwert sinken", sagte sie mit einer Stimme, die zugleich sanft und unnachgiebig war, wie das Flüstern eines Frühlingswindes. „Wenn diese Schildmaid auch nur einen Hauch von Jen's Charakter in sich trägt, dann werden wir mehr erreichen, wenn wir uns nicht als Feinde gegenüberstehen, sondern Seite an Seite kämpfen."

Dandelia trat einen Schritt näher zu Antry, bis sie direkt vor ihm stand. Sie hob langsam ihre Hand und legte sie sanft auf seinen Schwertarm. Ihre Berührung war wie ein stilles Versprechen, ein Anker in dem tobenden Sturm seiner Seele. Ihre Finger fühlten die Härte seiner Muskeln, die unterdrückte Gewalt, doch auch die Wärme, die tief in ihm verborgen lag. Sie hielt seinem Blick stand, ihre Augen waren fest und mitfühlend zugleich.
„Leg ihn in Ketten", flüsterte sie, doch ihre Worte hatten das Gewicht eines Befehls. „Es ist in Ordnung." Ihre Stimme war eine sanfte Melodie, die langsam den Zorn in ihm zu besänftigen begann, wie die ersten Strahlen der Morgensonne, die den Nachthimmel durchdringen.
Iskaii ließ widerwillig sein Schwert in die Scheide gleiten, das metallische Geräusch ein leiser Protest gegen seine innere Unruhe. Seine Augen glühten förmlich vor unterdrückter Wut, als er die Klinge losließ, die ihn bereits in so vielen Schlachten begleitet hatte. Ein tiefes Grollen entwich seiner Kehle, seine Lippen verzogen sich zu einem harten Lächeln.
"Irgendwann", zischte er durch zusammengebissene Zähne, "werdet ihr es bereuen, dass ich Antry nicht töten darf."
Sein Blick blieb auf Samantha haften, die ihm mit einer Mischung aus Langeweile und mildem Ärger begegnete. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hob eine Augenbraue, bevor sie lakonisch erwiderte:
"Ja, schon klar, Iskaii. Pack deinen Schwanz wieder ein." Ihre Worte waren scharf, doch in ihrer Stimme schwang eine erschöpfte Geduld mit, die zeigte, dass diese Situation nichts Neues für sie war. "Lass den kleinen Engel einfach ihren Zauber ausführen."
Antrys Atem wurde ruhiger, seine Finger lockerten sich allmählich um den Griff seines Schwertes. Mit einem tiefen, zitternden Seufzen ließ er die Klinge sinken, als würde er die Last, die er so lange getragen hatte, endlich ablegen.
Samantha wandte sich ab und sah zu Freya. Die junge Frau beobachtete die Krieger skeptisch aus eisblauen Augen und auch die Gruppe um sie herum hatte ihre angespannte Haltung noch nicht gänzlich abgelegt.
"Natürlich hat Jen nicht gesagt, was sie diesmal wieder verbockt hat", begann die Rothaarige. Sie rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Nasenwurzel, ein unwillkürlicher Versuch, den aufkeimenden Kopfschmerz zu vertreiben. "Sie hat nur Koordinaten geschickt und ein Totenkopf-Emoji. Als wäre das eine klare Anweisung." Ein bitteres Lächeln zog über ihre Lippen, während sie den Kopf schüttelte. "Scheint so, als sei es eine größere Sache, wenn es acht Leute braucht, um ihren Mist auszubaden."

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Kapitel 6

„Alles wieder okay?", fragte Jason leise und sah Noraja dabei sorgenvoll an.
Sie waren einige Schritte zur Seite getreten und hatten so etwas Abstand zu der Gruppe erlangt. Seine Hände wanderten langsam über ihre Arme und ihr nächster Atemzug kam bebend. Langsam hob sie den Kopf und öffnete die Augen. 
„Ja. Alles unter Kontrolle und ... Sorry."
Jason schenkte ihr ein sanftes Lächeln, lehnte sich zu ihr und drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Wange. Es war eine simple Geste, die dennoch dafür sorgte, dass die letzten dunklen Gedanken ihren Weg aus Norajas Verstand fanden.
„Schon gut", sagte Jason, „ich bin mir sicher, du hättest mich vor ihm bewahrt."
Ein freudloses Lächeln zuckte über ihre Lippen und zeigte nur den Bruchteil des Gefühlschaos, welches in ihr herrschte. 
„Sicher", erwiderte sie leise und war sich dabei nicht sicher, ob es eine Lüge war.
„Könnt ihr euer Beziehungstheater auf später legen? Wir haben wohl ein größeres Problem", motzte Liam und sah die beiden frustriert an.
„Bei den Göttern, wer hat dir denn heute in die Eier gebissen?", fragte Noraja, die bei seinen nörgelnden Worten direkt wieder zu sich selbst fand und verstaut dabei ihre Sichelklingen unter ihren Hoodie. ,,Keiner ist freiwillig hier, also spar dir deine Scheißlaune für Schildmaid auf."
Liam schwieg. Doch sein argwöhnischer Blick und seine angespannten Nackenmuskeln zeigten, dass immer noch Unruhe in ihm wohnte. Kaum dass, Noraja und Jason wieder zu der Gruppe traten, richtete sich Liams Aufmerksamkeit wieder auf Antry. Dieser wirkte zwar wieder menschlich, doch selbst jetzt strahlte er die pure Gefahr aus.
Währenddessen rieb Freya sich genervt übers Gesicht und sah sich suchend um. 
„Es können nur Leichen sein und so, wie ich Schildmaid kenne – viele. Verdammt viele. Noraja, wärst du so nett? Ich sehe nämlich genau nichts."
Noraja brauchte keine zwei Sekunden, bis sie auf einen Punkt unweit von ihnen zeigte. 
„Dort liegen verdammt viele Säcke. Könnte zwar auch Müll sein, aber... nein... ich seh eine Hand. Eindeutig kein Müll im herkömmlichen Sinne."
Freya nickte und überließ der Rothaarigen den Vortritt. 
„Ein was Gutes hat es ja."
Die Rothaarige sah Freya fragend an, die sofort hinter sich deutete. 
„Ich dachte schon, ich bin gestraft. Aber du bist eindeutig mehr am Arsch. Ehrlich, was hat Jen sich bei denen bitte gedacht?"
Ein Seufzen war mehr als Antwort genug und beide begaben sich auf den schmalen Pfad in Richtung der Säcke.
Liam zögerte, während der Rest seiner Schwester und Samantha folgte. Eine seltsame Unruhe hielt ihn fest im Griff und schickte ihm anhaltende Warnungen durch den Geist. Er musterte den verbliebenen Krieger, der ebenfalls unzufrieden schien. 
„Iskaii? Auf ein Wort?"
Die stechend grünen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, durch die ein unheilvolles Funkeln blitzte. Jeder Muskel in seinem markanten Gesicht war angespannt, als ob er sich mit äußerster Kraft zusammenreißen müsste. Sein Blick bohrte sich in Liam, durchdrang ihn förmlich, als ob er nach Schwäche, Missgunst oder einem Hinterhalt suchte. Argwohn lag wie ein bleierner Schleier über ihm.
Ehe er antwortete, glitten seine Augen kurz zu den anderen sechs Gestalten, die sich langsam und mit einer fast bedrohlichen Gelassenheit den Müllsäcken näherten, die in einer dunklen Ecke des Friedhofes lagen. Ihre Schritte hallten in der Nacht wider und leise, wütende Flüche drangen an sein Ohr. Es war, als ob die Dunkelheit selbst ihre Stimmen verzerrte - sie unheilvoller machte.
„Glaubt mir", setzte Iskaii schließlich an, seine Stimme schneidend und von bitterem Zynismus durchtränkt, „ich verachte diese ... wie nennt Ihr sie? Autoren? Künstler? Ebenso wie Ihr. Es sind Narren, die sich einbilden, die Welt durch ihre Worte verändern zu können. Wenn ich nicht an dem letzten, elenden Fetzen meiner Seele hängen würde, hätte ich Jen längst meine Klinge in die Kehle gerammt und ihre sogenannten Schöpfungen in Flammen aufgehen lassen."

Er hielt inne, sein Blick glitt erneut zu der Gruppe hinüber, die jetzt bei den Müllsäcken angekommen war. Einer der Männer hielt etwas Schweres in den Händen und im schwachen Licht blitzte ein metallischer Glanz auf. Iskaii wandte sich wieder Liam zu, seine grünen Augen bohrten sich wie zwei glühende Kohlen in dessen Inneres.
„Sprecht", forderte er schließlich, seine Stimme nur noch ein raues Flüstern, „was brennt Euch auf der zerrütteten Seele?"
Liam nickte zustimmend. 
„Vielleicht können wir für dieses Problem eine Lösung finden. Meine Seele ist nicht mit dem Leben von Jen verbunden."
Sein Blick wanderte zu seiner Schwester und er schluckte, als Antry dabei erneut in sein Blickfeld rutschte. 
„Aber mein eigentliches Anliegen betrifft diesen Antry. Du willst ihn tot sehen. Es scheint, als hätte es einen Grund. Einen anderen als Feindschaft. Mich interessiert nicht, warum. Dennoch sorge ich mich um meine Schwester. Kommt er ihr zu nah, stirbt er. Es scheint nur, als brauche ich dabei deine Hilfe." Liam hielt inne und verfluchte Jen stillschweigend. Diese verfickte Sprache. Doch scheinbar hatte Iskaii seinen Worten folgen können. Liam starrte in die kalten, grünen Augen, die ihn aufmerksam mustern. 
„Kann ich dabei auf dein Schwert zählen?"
Ein raues, fast höhnisches Lachen entfuhr Iskaiis Lippen, das wie ein bitteres Echo von den Bäumen um sie herum widerhallte. Dandelia zuckte zusammen, als der kalte Ton ihre Ohren erreichte und sie konnte nicht anders, als einen besorgten Blick über ihre Schulter zu werfen.
"Ihr habt keine Ahnung, worauf Ihr Euch einlasst", knurrte Iskaii. Seine Augen, zwei undurchdringliche Abgründe, fixierten Liam. "Antry ist anders. Sein Körper mag sterblich sein und ich bin durchaus in der Lage ihn zu töten ..." Er hielt kurz inne, und es war, als ob die Dunkelheit selbst dichter geworden wäre, als ob die Nacht sich zusammenzog, um jedes seiner Worte zu verschlingen.
„Doch hier, bei Nacht ... Ihr würdet dabei nicht nur Eurer eigenes Leben aufs Spiel setzen, sondern auch das Eurer Schwester."
Iskaiis finsterer Blick wanderte zur Gruppe. Sein Blick blieb an Noraja hängen, die etwas abseits stand. Seine Augen verengten sich und er schien sie mit seinen Blicken durchbohren zu wollen.
„Und was Eure Freundin dort betrifft ...", murmelte er, mehr zu sich selbst als zu Liam. „... etwas an ihr behagt mir nicht. Sie scheint eine Verbindung zu Antry zu haben, die nichts Gutes birgt."
Noch bevor Liam etwas erwidern oder Iskaii noch etwas hinzufügen konnte, wurden die beiden Männer jäh von einem Ruf unterbrochen: „Hey, ihr Zwei! Habt ihr eigentlich vor, eure Astralkörper nochmal hierher zu bewegen und uns zu helfen?! Auch ihr seid nicht zum Vergnügen hier!" Samantha klang genervt, als sie Jason eine Schaufel zuwarf, die er geschickt mit einer Hand auffing.
Liam ignorierte die Aufforderung und musterte stattdessen Noraja. Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen und seine Aufmerksamkeit richtete sich abermals auf Iskaii. 
„Sie ist keine Freundin. Und während dein Freund zumindest seinen Körper verlieren kann, bleibt uns selbst dieses Glück bei ihr vergönnt. Aber ich stimme zu, deren Bindung könnte ungeahnte Probleme bringen. Also..." Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder zu der Runde, von der immer lauter werdende Flüche durchzogen mit Todeswünschen zu ihnen hallen, „sollten wir diese Leichen verschwinden lassen und danach getrennte Wege gehen, bevor unser aller Leben versiegt. Dennoch sollten wir wohl beide im Blick behalten."
Skepsis lag in den smaragdgrünen Augen Iskaiis, als er die Worte durch seinen Verstand sickern ließ Sein Blick war kühl und berechnend, doch hinter dieser Fassade verbarg sich ein Funke Unruhe.
"Wahre Worte", murmelte er. "Ich will nichts mehr, als aus dieser verrotteten Welt zu verschwinden und nie wieder zurückzukehren." Seine Stimme klang leise und bitter. "Dennoch", fügte er mit einem Hauch von Resignation hinzu, "fürchte ich, dass dies nicht der letzte Ärger ist, den unsere Schöpfer uns bereiten werden."
Sein Kiefer spannte sich an, als er einen plötzlichen Ausbruch aus der Gruppe vernahm. Ein hasserfüllter Ruf ertönte und ein Brecheisen blitzte auf, während es drohend in ihre Richtung geschwenkt wurde.
"Wenn ihr faulen Penner jetzt nicht eure Ärsche hierher bewegt", brüllte Samantha, "vergraben wir eure Leichen gleich mit."
Iskaii verdrehte genervt die Augen und ließ ein schnaubendes Lachen hören, das mehr Verachtung als Belustigung verriet.
"Zu gerne würde ich es darauf ankommen lassen ...", knurrte er, seine Lippen kaum bewegend, während sein Blick wieder zu Liam glitt. Es lag etwas Berechnendes in seinem Ausdruck, eine unausgesprochene Warnung, die in der Stille zwischen ihnen hing.
"Wir sollten uns eilen", sagte er schließlich, seine Stimme wieder ernster werdend. "Nicht, dass ich diese Welt mehr verachte als jene, die Jen schuf. Aber ich will nicht länger als nötig in dieser miserablen Konstellation verweilen."

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Kapitel 7

Wenn er doch nur wüsste, wie recht er hatte. Liam bewegte sich langsam in die Richtung der Gruppe, während seine Gedanken kreisten. Gedanklich stimmte er Iskaii zu. Die Konstellation war beschissen und sie konnte noch viel beschissener werden. Sicher brauchte Freya weder seinen Schutz noch seine Sorge. Aber er war ihr verdammter Bruder. Er musste diese Gedanken loswerden. Sie lenkten ihn ab. Er folgte dem Krieger und trat zwischen zwei abgewetzten Grabsteinen hindurch und schon traf ihn der Schlag. 
„Verfickte Scheiße! Wie viele sind das denn?" Er starrte fassungslos über die Ansammlung von Müllsäcken. Daneben eine zerbrochene Grabsteinplatte.
Freyas Kopf schoss aus dem dazugehörigen Grab. Erste Dreckspuren zeichneten sich auf ihrer Wange ab, Zorn stand in jedem Millimeter ihres Gesichts und in ihren Iriden wohnte das pure Gift. 
„Zu viele und jetzt komm endlich in Gang."
Ihre Finger wanderten über das feuchte Gras, ergriffen eins der Brecheisen und im nächsten Moment schleuderte sie es, mit all ihrer angestauten Wut über die Situation, ihrem Bruder entgegen. Wissend, dass er es nicht ohne Blessuren abfangen konnte, drehte er sich zur Seite.
Ein schmerzerfülltes Stöhnen ertönte, gefolgt von einem unterdrückten Lachen aus Norajas Richtung. 
„Versenkt."
Jason, der unmittelbar hinter Liam gestanden hatte, krümmte sich und ging in die Knie. 
„Was soll das?", keuchte er und presste sich die Arme um den Magen.
„Sorry Kumpel", raunte Liam und versuchte, sich ebenfalls das Lachen zu verkneifen. Er beugte sich und ergriff das Brecheisen, welches neben Jason auf dem weichen Boden lag.
„Ich bring sie um", zischte Jason und nahm die Hand, die Liam ihm entgegenstreckte.
Freya prustete die Wangen auf und warf den beiden einen weiteren giftigen Blick aus ihrem Grab zu. 
„Hör auf zu jammern und sucht nach Gräbern mit gelben Aufklebern! Ich habe nicht vor, morgen noch hier zu stehen oder zu graben."
„Das übernehmen wir", mischte Noraja sich ein und deutet auf sich und Antry, dann auf die zerbrochene Platte neben Freya. „Ihr macht nur noch mehr Schaden. Wir brauchen die Platten, ansonsten können wir die Leichen auch so liegen lassen."
Mit rollenden Augen nahm Freya die erste Leiche von der Rothaarigen entgegen, die ihren Frust nun nicht mehr versuchte zu verbergen. Eine blutige Hand streifte Freya an der Wange und ließ sie das Gesicht verziehen. 
„Mir egal, Hauptsache ich seh euch in zwei Minuten arbeiten. Andernfalls seid ihr die nächsten, die in so einem Loch landen."
"Weshalb nehmt Ihr nicht eine der Frauen mit?" Iskaiis Stimme klang wie das Flüstern des Windes, doch der scharfe Unterton ließ keinen Zweifel an seiner Intention. Seine Augen huschten kurz zu Liam, der stumm daneben stand, als ob er in Gedanken versunken wäre. Doch er fühlte das Gewicht des Blickes auf sich, ein stummer Vorwurf, den er nicht ignorieren konnte.
"Was stört Euch diesmal, Schlächter?" Antrys Stimme war rau und fordernd, als er die Schaufel mit einem entschlossenen Schwung in den Boden rammte. Das metallische Klingen, als das Werkzeug den Boden traf, hallte durch die gespenstische Ruhe des Ortes. Als er die Schaufel losließ, fiel sie schwer ins Gras, das Geräusch gedämpft, doch die Geste hatte Gewicht. Alle Augen richteten sich wie magnetisch angezogen auf die beiden Männer, die nun im Mittelpunkt der unerwarteten Konfrontation standen.

 Antrys braune Augen, tief wie der Waldboden und hart wie Granit, funkelten vor Ungeduld. Seine Stirn, von tiefen Falten durchzogen, zeigte seine Abneigung gegen unnötige Diskussionen. Die Spannung zwischen den beiden Männern war greifbar, ein Seil, das kurz davor war, zu reißen.
"Nichts, Da'Neriio. Nach Aufklebern - was auch immer das sein mag - zu suchen, erscheint mir lediglich keine Arbeit zu sein, die Muskelkraft erfordert. Gräber ausheben und Leichen tragen indes schon." Die Worte verließen seine Lippen wie eine Klinge, die durch die Stille schnitt.
Samantha, die gerade dabei war, den nächsten schweren Sack mit einer Leiche an Freya weiterzureichen, hielt inne. Ihre Hände, die zuvor fest zupackten, lösten sich, als ob sie das Gewicht nicht mehr tragen könnten. Der Sack fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden.
"Hey!" Freyas Stimme war ein scharfes Zischen, ein Blitz aus Empörung, der durch die Luft schoss. Doch Samantha hörte sie kaum. Ihre Gedanken waren woanders, gefangen in den Tiefen der Absurdität der Situation. Sie drehte sich langsam um, die Augen auf Iskaii gerichtet, als ob sie in seinem Gesicht nach Antworten suchte, nach irgendeinem Zeichen, dass sie diese dunkle Stimmung verstehen konnte. Der Wind wehte durch das hohe Gras, brachte den süßlichen Geruch von Verwesung und den metallischen Hauch des Blutes mit sich.
„Wollen wir jetzt wirklich diese altmodische Debatte über starkes und schwaches Geschlecht führen?" Samanthas Stimme schnitt durch die kalte Luft, ihre Augen funkelten. „Überleg es dir gut, mein mürrischer Freund. Ich bin mir nicht sicher, ob du diesen Kampf gewinnen wirst." Ihre Worte waren wie eine Herausforderung, die sie ihm vor die Füße warf.
Iskaii hob beschwichtigend die Hände, um die Spannung zu entschärfen. „So war meine Aussage nicht gemeint", versuchte er sich zu erklären, während er dem durchdringenden Blick nicht ausweichen konnte. „Es ist offensichtlich, dass wir Männer mehr Muskelkraft haben. Das macht das Gräber ausheben und Leichen vergraben leichter, nicht wahr?" Seine Worte hingen einen Moment in der Luft, bevor er fortfuhr. „Weshalb solltet also nicht Ihr und Dandelia gehen oder ..." Er stutzte kurz, als ihm ein Name entfallen war. „Oder Freya und Dandelia?"
Dandelia, die gerade aus dem Grab gestiegen war, starrte ihn an, als hätte er etwas Unverständliches gesagt. Erde klebte an ihren Stiefeln, ihre Wangen waren von der Anstrengung gerötet und in ihren Augen spiegelte sich eine Mischung aus Enttäuschung und Verwunderung.

„Was ist los, Iskaii?", fragte sie leise, aber ihre Stimme hatte einen scharfen, enttäuschten Unterton. „Du bist nicht die Art von Mann, der Frauen auf ihr Geschlecht reduziert."
Iskaiis Augen richteten sich auf Liam, als er mit gedämpfter Stimme sagte:
„Womöglich möchte ich Antry nur im Auge behalten. Wir wissen, wie unberechenbar er sein kann. Wie rasend schnell der Zorn in ihm auflodern kann. Ich will um jeden Preis vermeiden, dass er ..." Er hielt inne, seine Worte blieben in der Luft hängen, als er Noraja durchdringend ansah. Die Pause dehnte sich aus, schwer wie ein aufziehendes Gewitter, bevor er schließlich mit leiser Stimme fortfuhr: „... dass er Noraja ernsthaft verletzt. Oder schlimmer noch."
„Ist das nicht etwas übertrieben?" Samantha schüttelte genervt den roten Schopf. „Soweit ich weiß, kennen die beiden sich gut und – zumindest soweit ich es verstanden habe – mögen sie einander sogar. Was auch immer zwischen ihnen passiert ist, ich will es gar nicht so genau wissen. Warum sollte er sie töten wollen? Einfach so? Ist er ein Vampir und sehnt sich nach ihrem Blut?"
Iskaii ignorierte den Spott und suchte nach den richtigen Worten, nach einer Möglichkeit, ihr klarzumachen, was er in Antrys Augen gesehen hatte, in den tiefen, unheilvollen Abgründen seiner Seele.
„Weil er gefährlich ist."
Bevor jemand etwas erwidern konnte, schaltete sich Dandelia ein.
„Er hat sich unter Kontrolle, Iskaii!", protestierte sie heftig, als ob sie mit der bloßen Kraft ihrer Worte die Bedenken des Kriegers zerstreuen könnte. Doch kaum hatte sie ausgesprochen, erklang ein dunkles, grollendes Knurren – tief und bedrohlich, als käme es aus den Tiefen einer uralten Bestie. Das Geräusch kam von Antry, seine Augen glühend vor unausgesprochenem Zorn, und nahm den Worten der Kriegerin ihre überzeugung.
„Womöglich sollten Dandelia und Antry nach diesen dämlichen Aufklebern suchen?" Liams Stimme war fest, ein Versuch, die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen. Es war ein schwacher Vorschlag, aber es war besser als nichts – besser, als hier untätig zu stehen, während die Spannung in der Luft immer dichter wurde. 

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Kapitel 8

Stille. Alle Köpfe drehten sich ruckartig zu Liam, als hätte er von jedem eine Niere oder vielleicht auch ein Stück Herz verlangt. Selbst Freya drehte sich zu ihrem Bruder, erhob sich aus dem Grab und ließ sich an dessen Rand nieder. Ihre Beine baumelten noch in dem Loch, während sie eine Zigarettenschachtel aus ihrer Jacke zog, und Sekunden später zog der Geruch von verbranntem Tabak über den Friedhof.
„Setz dich, das kann dauern", sagt sie zu Samantha, die sie irritiert ansah. Doch bevor diese ihren Unmut über diese Verzögerung äußern konnte, begann das Theater.
Norajas Faust schlug in Liams Schulter ein. Der unerwartete Stoß ließ ihn taumeln. Sein Fuß verfing sich an einer Baumwurzel und schon ging er zu Boden. Knurrend drehte er sich herum, stemmte sich auf und fixierte Noraja. Deren Augen pulsierten bereits drohend und ihr Kiefer zuckte. „Niemand sagt mir, was ich zu tun oder lassen habe, und schon gar kein Abkömmling der verfickten Mafia. Ich werde mit Antry gehen und es ist mir egal, was du oder dein neuer bester Freund davon hältst. Verstanden?"
Ihre Stimme war am Ende nicht mehr als ein warnendes Zischen. Wut regte sich in Liam, doch das Flimmern in ihren Augen zeigte ihm, dass der schmale Grat zwischen Leben und Tod gerade zu einem zerbrechlichen, verdammt morschen Ästchen geworden war.
Sein Blick zuckte zu Jason. „Hast du dazu nichts zu sagen?"
Der grinste schief und ließ sich neben Freya auf den Boden fallen. „Weißt du, es gibt Kämpfe, die kann man nicht gewinnen." Er zeigte dabei auf Noraja. „Und das ist einer davon."
Liam biss die Zähne aufeinander. Sein Blick schweifte zu Antry, dessen starrer Ausdruck nichts Gutes verhieß. Iskaii hingegen ließ seine Hand langsam zu seinem Schwert wandern. Doch selbst diese kleine Bewegung entging Noraja nicht und sofort wirbelte sie zu ihm herum. Mit erhobenen Sichelklingen stand sie drohend dem Krieger. „Und du...", knurrte sie und starrte dabei in seine grünen Augen. „... lässt dein Schwert lieber, wo es ist, anderenfalls entweiht dein Blut gleich diesen Ort."
„Einfach grandios", murrte Freya, drückte den Rest ihrer Zigarette aus und räusperte sich. „Vorschlag zur Güte: Noraja und Antry verpissen sich. Und zwar ganz. In diesem Kaff scheint es genügend Idioten zu geben, mit denen sie Spaß haben können."
„Bist du irre?", unterbrach Liam sie fassungslos.
Freya stand auf, wischte sich angewidert ihre dreckigen Hände an ihrer Jogginghose ab und sah zu ihren schlammigen Sneaker. Wie beschissen konnte so ein Abend eigentlich werden? Mit der Rückhand schob sie einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und sah dann in das entgeisterte Gesicht ihres Bruders.
„Ja, aber das hat nichts damit zu tun. Du machst dir Sorgen wegen mir. Siehst Antry als Gefahr. Er...", sie zeigte zu Iskaii, „... scheint das ähnlich zu sehen. Plus, Noraja passt ihm auch nicht. Jason hat aufgegeben und sie...", ihr Blick huschte zu Dandelia, die die Situation ungläubig beobachtete, „... kommt zu nichts, weil sie ständig einen der beiden Kasper im Zaum halten muss. Also."
Freya machte eine kreisende Geste durch die Runde und hielt bei Antry und Noraja inne. „Wenn die beiden verschwinden, kann der Rest sich um die Leichen kümmern. Denn bei den Göttern, wenn ich im Morgengrauen immer noch hier bin, anstatt in einem Scheißpub zu sitzen, bekommen wir ein wirkliches Problem." Sie hob die Brauen. „Höre ich sinnvolle Gegenstimmen?"
In Iskaiis Augen flackerte ein gefährliches Glimmen, wie ein loderndes Feuer, das kurz davor stand, alles in seiner Nähe zu verschlingen. Das Lichtspiel in seinen grünen Iriden war unheilvoll. Jeder Muskel in seinem Körper war angespannt. Doch Dandelia entging dieser subtile Wandel nicht. Sie spürte die aufkeimende Gefahr, die von ihm ausging, wie ein drohender Sturm, der am Horizont aufzog. Gleichzeitig bemerkte sie, wie sich Antrys Iriden schwarz färbten, als ob er in die tiefsten Abgründe seines Wesens hinabsank, dort, wo kein Licht jemals vordrang.
Norajas Klingen blitzten bedrohlich, scharf und tödlich, bereit, jeden Moment zuzuschlagen. Aber Dandelia schenkte ihnen keine Beachtung. Sie wusste, dass es jetzt nur einen Weg gab, das unausweichliche Blutvergießen zu verhindern.

Mit einem entschlossenen Schritt war sie an Iskaiis Seite. Sie legte ihre Hand fest über seine, die den Griff des Schwertes fest umschloss, und spürte die raue Haut unter ihren Fingern. Ihr Herz pochte wild, doch ihre Stimme blieb ruhig, fest, voller Autorität, als sie dicht an seinem Ohr flüsterte - jedes ihrer Worte wie eine Drohung: „Wenn du auch nur den Hauch einer Chance hast, lebendig und unversehrt aus dieser vollkommen verrückten Welt zu entkommen, dann lässt du dein Schwert stecken." Ihre Augen fixierten seine, ihre Blicke verschmolzen zu einer stillen Kommunikation, die alle Worte überflüssig machte. „Und dann ziehen wir gemeinsam los und suchen diese verdammten Aufkleber."
Iskaii Herzschlag hallte in seiner Brust wider, als er in die eisblauen Augen sah und für einen Moment schien die Welt um sie herum stillzustehen. Die Kälte in ihren Augen war schneidend, doch die Wärme, die von ihrer Haut ausstrahlte, überraschte ihn. Sie war nah genug, dass er ihren Atem auf seiner Haut spüren konnte, und allmählich begann die Spannung in seinen Schultern nachzulassen. Seine Muskeln lockerten sich, als würde die Anwesenheit dieser Frau den stählernen Panzer um seine Seele durchdringen. Trotzdem blieb sein Blick hart, als er Noraja ins Auge fasste, seine Stimme ein knurren: „Ich halte es trotz allem für eine todbringende Idee, die beiden alleine ihrer Wege ziehen zu lassen."
Samantha, die neben Freya stand, schenkte ihm nur einen spöttischen Blick, ihre Lippen verzogen sich zu einem spitzen Lächeln.
„Sollen sie sich gegenseitig abmurksen. Wen kümmert es." Ihre Stimme klang ungerührt, fast gelangweilt, als ob das Schicksal der anderen nichts als ein ferner Sturm am Horizont wäre. Freya nickte zustimmend.
„Ich denke nicht, dass sie das tun." Dandelias Worte hingen in der Luft und Iskaii folgte ihrem Blick zu Antry, der ihn immer noch mit einem Feuer in den Augen anstarrte, das ihn durchbohrte. Antry war eine Naturgewalt, ein Mann, dessen Zorn wie ein tobender Sturm über sie alle hereinbrechen konnte, wenn er nicht kontrolliert wurde.
„Ich befürchte jedoch, dass sie unser Blut vergießen werden, wenn wir uns ihnen in den Weg stellen."
„Ich würde dir nichts tun", grollte Antry. Seine Stimme war so tief und dunkel, als ob sie aus den tiefsten Schluchten der Hölle selbst kam. „Ihn hingegen", fuhr er fort, während seine Lippen sich zu einem grausamen Grinsen verzogen, „würde ich ohne zu zögern zerfetzen."
Iskaiis Schwertarm spannte sich augenblicklich an, die Muskeln unter seiner Haut traten hervor, als wäre jede Faser seines Körpers bereit, sich in die tödliche Bewegung zu stürzen. Sein Blick war auf Antry fixiert, die Bedrohung in seinen Augen ebenso messerscharf wie die Klinge in seiner Hand. Doch bevor er handeln konnte, spürte er einen festen Druck an seinem Arm. Dandelias Hand umklammerte ihn, ihre Finger zitterten leicht, während sie versuchte, die wachsende Spannung zu bändigen. Ihre Augen flehten ihn an, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, das die drückende Stille durchbrach: „Nicht, Iskaii."

Ein Moment der Stille hing in der Luft, so schwer, dass jeder Atemzug wie ein Kampf gegen unsichtbare Fesseln schien. Jäh durchbrach Samantha diese erdrückende Stille mit einem lauten Seufzen, das eher wie ein genervtes Raunen klang.
„Hätte ich gewusst, dass das hier zu einer verdammten 'Ich-kille-dich-nein-ich-kille-dich-zuerst'-Show mutiert, hätte ich Jen den Stinkefinger gezeigt, ihre Nachricht gelöscht und mich mit Pizza und Bier zu Dean aufs Sofa verpisst." Ihre Stimme triefte vor sarkastischer Resignation, während sie frustriert ein paar widerspenstige Strähnen ihrer roten Locken zurück in den Zopf stopfte. Jede ihrer Bewegungen zeigte, wie sehr sie sich nach Normalität sehnte – nach etwas, das nicht nach Blut roch und in Dunkelheit gehüllt war.
Ihr Blick wanderte zwischen den beiden Männern hin und her, bevor sie scharf einatmete.
„Können wir diese Alpha-Männchen-Scheiße jetzt beenden und diesen Mist hier endlich beseitigen?"
Dandelia umklammerte Iskaiis Handgelenk. Ihre Finger gruben sich tief in seine Haut, während sie mit aller Kraft an ihm zerrte, als würde ihr eigenes Leben davon abhängen.
"Wir suchen gelbe Aufkleber", stieß sie hervor.
Iskaii hielt inne, überrascht von der unerwarteten Heftigkeit, mit der sie ihn wegzog. Seine Augen verengten sich, seine Lippen formten einen stummen Protest, doch die Entschlossenheit in Dandelias Blick ließ ihn innehalten. Mit einem letzten Ruck schob sie ihn von Noraja weg.
Diese beobachtete das Schauspiel mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu. Ihre Augen funkelten gefährlich und für einen Moment schien es, als würde sie etwas Entsetzliches in die Tat umsetzen wollen. Dandelia fixierte sie mit einem Blick, der sowohl Warnung als auch Bitte in sich trug.
"Mach Antry nicht wütend", ermahnte sie mit einer Stimme, die trotz der Anspannung sanft klang. "Es würde dir und dieser Welt nicht gut bekommen."
Noraja öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch bevor sie einen Laut von sich geben konnte, erklang Samanthas spöttische Stimme aus dem Hintergrund.
"Eine ganz neue Erkenntnis", höhnte sie, während sie sich bückte, um das schwere Brecheisen vom Boden aufzuheben. Mit einer fast beiläufigen Bewegung wog sie das Werkzeug in ihrer Hand, bevor sie es entschlossen in den Spalt zwischen einer der alten Grabplatten drückte. Ein leises Knirschen erfüllte die Luft, als das Metall auf den Stein traf.
Sie konzentrierte ihre ganze Kraft auf das Brecheisen und ihre Muskeln spannten sich unter der Anstrengung an. Ein Schweißtropfen rann über ihre Schläfe, während sie das Werkzeug langsam nach unten drückte. Der Stein gab allmählich nach, hob sich ein wenig, und ein kalter, fauliger Geruch entwich aus dem sich öffnenden Grab.

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Kapitel 9

Noraja zog eine Braue nach oben und neigte den Kopf. „Du hast ihnen nichts von mir erzählt, oder?"
Ein weiteres tiefes Knurren aus Antrys Kehle diente als Antwort. Mit einem breiten Lächeln nickte sie Dandelia zu. „Keine Sorge. Er wird keine Gefahr für mich." Noraja schnappte Antry, der Iskaii zumindest mit seinen Blicken gerade tötete, am Arm und zerrte ihn mit sich. „Los jetzt. Der Blonden...", sie stockte und korrigierte sich. Warum zur Hölle sind die alle blond? „... deiner Blonden passiert schon nichts. Es wird Zeit für ein wenig Spaß."
Freya zog einen tiefen Atemzug ein und die kalte Luft riss an ihren Schleimhäuten, während Noraja und Antry in der Tiefe des Friedhofs verschwanden. „Das Ergebnis lesen wir wohl morgen in der Zeitung."
Liam trat neben sie und schnappte sich ein weiteres Brecheisen. „Das werden wir bereuen."
Freya rümpfte die Nase. „Jen und Schildmaid werden es bereuen und du...", sie schnappte sich die Schaufel und sah ihren Bruder eindringlich an, „hör auf damit. Ich liebe dich und deine Sorge, aber du schießt aktuell etwas übers Ziel hinaus."
Ehe er antworten konnte, wandte sie sich ab und ergriff einen der Leichensäcke. Mit einem leichten Stöhnen zerrte sie den eindeutig übergewichtigen Toten zum nächsten Grab, welches Liam soeben geöffnet hatte.
„Was ist los?", fragte Freya, als sie Samantha dabei beobachtete, wie sie angewidert hinein sah. Sie trat näher und spähte über deren Schulter. Augenblicklich ließ sie den Sack fallen. „Es scheint, als hatte da jemand dieselbe Idee", raunte sie und starrt. Unzählige einzelne Körperteile lagen um den eigentlichen Sarg verteilt. Das Fleisch zerfressen von Maden, welche zappelnd in jedem Winkel des Erdlochs zu sehen waren.
„Das sind verdammt viele Hände für eine Person", ergänzte Jason, der sich über das Loch lehnte, um nachzuzählen. „Sechs Hände. Vier Linke. Zwei Rechte. Männlich. Weiblich. Unterschiedliche Nägel. Da passt nix zusammen und das ist... widerlich." Er zog sich augenblicklich zurück und würgte zweimal.
Freya ließ den Kopf in den Nacken fallen und ein zorniger und durchaus genervter Laut vibrierte durch ihre Brust. „Bei den Göttern. Ich hasse dieses Kaff wirklich. Macht es wieder zu. Wir brauchen einen anderen Plan, bevor unseren Autoren noch mehr Morde zugeschrieben werden. Ich habe keine Lust, sie auch noch aus dem Knast holen zu müssen."

„Den Knast hätten sie mehr als verdient", zischte Samantha und starrte kurz in die Dunkelheit, wo der fahle Mondschein die verlassenen Grabsteine in gespenstisches Licht tauchte. „Und ganz ehrlich, ich verstehe mich selbst nicht, warum ich den beiden Gestörten nicht einfach Dean auf den Hals hetze. Für die würden sie selbst in diesem Land die Todesstrafe wieder einführen." Ihre Worte klangen nach, wie das Echo eines unausgesprochenen Versprechens, während sie ihren Blick auf das Grab und dessen grausigen Inhalt richtete. Ohne zu zögern sprang sie in das Loch, die Erde unter ihren Chucks knirschte und zerbröselte wie der fragile Schleier zwischen Leben und Tod. Jason rümpfte angewidert die Nase, doch sein Ekel wurde von einer wachsenden Unruhe überdeckt, die sich in seinem Magen zusammenballte. Der modrige Geruch der feuchten Erde vermischte sich mit etwas anderem, etwas Metallenem, das in der Luft hing und ihm die Kehle zuschnürte.
Samantha kniete sich hin, ihre Bewegungen waren ruhig und kontrolliert, als sie die Leichenteile untersuchte, die vor ihr lagen. Die Welt um sie herum schien stillzustehen, nur das dumpfe Pochen ihres eigenen Herzschlags drang an ihre Ohren.
„Was wird das?", fragte Jason, seine Stimme zitterte leicht, als er sah, wie die Rothaarige eine der abgetrennten Hände aufhob. Seine Augen verengten sich und auch Freya und Liam rückten näher zusammen, ihre Mienen von einer Mischung aus Ekel und Misstrauen geprägt.
Samantha drehte die blasse, zerkratzte Hand in ihren eigenen, als ob sie ein seltenes Artefakt untersuchen würde. Ihre grünen Augen leuchteten im schwachen Mondlicht, während ihre Finger über die verformte Haut glitten.
„Wollt ihr gar nicht wissen, was es mit diesen Patschehändchen auf sich hat?" Ihre Stimme klang seltsam leichtfertig, als ob sie ein makabres Geheimnis in den Händen hielt. 

Jason öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst. Stattdessen schüttelte er nur langsam den Kopf und Freya und Liam taten es ihm gleich. Der Ekel kroch ihnen die Kehlen hoch. Ihre Blicke klebten an Samantha, die nun mit großer Sorgfalt die Wunde an der abgetrennten Hand untersuchte. „Wo zur Hölle bin ich hier nur gelandet?", murmelte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen. Ihre Augen weiteten sich plötzlich, als sie tiefer in die Wunde starrte. „Das sind verfluchte Bissspuren!", rief sie unvermittelt aus.
Noch ehe jemand ihre Worte verarbeiten konnte, durchbrach ein hoher, schneidender Pfiff die Dunkelheit. Er hallte zwischen den alten Grabsteinen wider, ließ die Krähen in den Bäumen aufschrecken und riss die Gruppe aus ihrer Starre. Samantha ließ die Hand fallen und sie landete mit einem klatschenden Geräusch auf dem Haufen der verstümmelten Gliedmaßen.
„Das ist Iskaiis Pfiff", erklärte sie. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ein kaltes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. „Entweder haben Antry und Noraja schneller in den Blutrausch gefunden als gedacht ... oder wir haben ein anderes Problem."

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Kapitel 10

Freya zog reflexartig ihre Klingen aus der Halterung, starrte jedoch weiterhin auf die Bisswunden. „Die stammen weder von Menschen noch von normalen Tieren."
„Sag mir nicht, dass diese Mittelalterkasper mehr als ihre eigenen Ärsche aus ihrer Welt mitgebracht haben", brachte Liam zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor, entsicherte seine Waffe und sah in Richtung, aus der der Pfiff ertönt war. „Gehen wir nachschauen, was für neue Probleme entstanden sind, oder ignorieren wir es?"
Freya und Samantha tauschten einen Blick aus, bevor die Rothaarige die Leichenteile fallen ließ und die Hand ergriff, die Freya ihr reichte.
„Lasst uns nachsehen gehen, bevor diese Neandertaler noch mehr Schaden anrichten", sagte Freya und lief los.
Der schmale Pfad war nahezu verwachsen von Sträuchern und Büschen, welche an den Klamotten der Gruppe zerrte. Jason hatte seine Pistole ebenfalls wieder in der Hand und überblickte aufmerksam seine Umgebung. „Wer bereut es noch, dass wir Noraja und Antry weggeschickt haben?"
Er bekam keine Antwort auf diese Frage, doch das einheitliche Schweigen war deutlich genug. Vielleicht hatten sie doch eine übereilte Entscheidung getroffen. Wobei die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden mehr Ärger machten, als hilfreich zu sein, verdammt hoch war.
„Skàdi wäre jetzt gerade nützlich. Warum ist sie nicht hier?", fragte Freya und schob einen tiefhängenden Ast aus dem Weg.
„Weiß nicht, habe sie seit Tagen nicht gesehen, aber ich schreibe .... Verfluchte Scheiße." Jason stockte mitten im Satz, denn da er seine Aufmerksamkeit schon auf sein Handy gelenkt hatte, war ihm der schwingende Ast entgangen, der frontal in seine Stirn schlug. Mit knirschenden Zähnen rieb er sich über die brennende Stirn. „Du bist wirklich ein verficktes Ebenbild von Schildmaid."
Ein wissendes Grinsen schlich sich über Freyas Lippen. „Nein. Ich bin eindeutig besser als sie."
Keiner hatte vor, an dieser wohl wahren Aussage zu zweifeln, geschweige denn etwas hinzuzufügen und so brachten sie sie letzten Meter schweigend hinter sich. Die Bäume um sie zogen sich zu einer dichten Mauer zusammen und verschlagen das letzte fahle Mondlicht. Doch zwischen all dem Zwielicht schimmerten weißblonde Haare von Dandelia, als wären sie selbst die Lichtquelle.
„Dort", flüsterte Freya und zeigte auf die beiden Schemen, die rechts von ihnen standen. Leise schlich die Gruppe auf sie zu und erstarrte, als der Wald vor ihnen aufbrach und sich eine Lichtung ergab, in deren Mitte eine Krypta thronte. Sie stand auf einer kleinen Erhöhung. Gebrochene Stufen führten zu dem weitoffenstehenden Eingang, welcher von verrosteten Eisentoren gezäumt war. Wilde Rosenbüsche, deren Blühten längst verdorben waren, überwucherten das Mauerwerk. Doch während die Knospen längst den Tod als ihren Freund erachteten, waren die Dornen um so auffällig. Riesig und scharfkantig legten sie sich um den alten Stein und waren eine unausgesprochene Warnung.
Freyas Blick glitt zurück zu dem Eingang, der wie ein finsteres Maul eines Raubtiers wirkte, in dessen endlosen Tiefe jedoch Fackeln flackerten.
„Das darf doch alles nicht wahr sein", fluchte Liam und riss Freya damit aus ihrer Trance. Sie trat auf die Gruppe, welche vor ihr verweilte, zu und spähte über Iskaiis Schulter. „Was ist ... ach du heilige Scheiße."

Dandelia deutete mit einem Finger auf eine Gestalt, die reglos im feuchten Gras neben der düsteren Krypta lag. Das schwache Mondlicht, das durch die dichten Wolkenfetzen drang, warf flackernde Schatten über den leblosen Körper, der in unnatürlicher Weise gekrümmt war. Der Anblick war verstörend. Die Kreatur war abgemagert bis auf die Knochen. Die Haut spannte sich in unregelmäßigen Wülsten über die dürren Gliedmaßen. Ihre deformierten Züge wirkten wie eine groteske Karikatur menschlicher Anatomie, als hätte jemand ein menschliches Wesen durch den Spiegel eines Alptraums verzerrt. "Diese ... Kreatur kam aus der Krypta gestürmt, direkt auf uns zu, als ob sie nur darauf gewartet hätte, uns zu begegnen. Ich weiß nicht, was es ist, aber so etwas habe ich noch nie gesehen."
Iskaii musterte den leblosen Körper mit kalten, prüfenden Augen. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, doch seine Hand zog den Dolch, der unter seiner ledernen Weste verborgen lag.
„Es ist sterblich", raunte er mit leiser, fast bedrohlicher Stimme. Die schiere Gelassenheit, mit der er diese Feststellung traf, ließ Dandelia erschauern. Für Iskaii spielte es keine Rolle, was diese Kreatur einst gewesen war oder welche grauenhaften Dinge sie durchlitten hatte. Alles, was für ihn zählte, war, dass er sie töten konnte. Er wandte den Blick von dem deformierten Körper ab und ließ ihn zur Krypta wandern, die wie ein dunkles Maul aufragte und die Schwärze des Nachthimmels verschluckte.
"Im Inneren sind mehr von ihnen", sagte er knapp. "Ich kann nicht sagen, wie viele genau, aber ihren Geräuschen nach zu urteilen, sind es genug für uns alle." Ein dumpfes Grollen drang aus der Krypta, gefolgt von kratzenden Geräuschen, die wie Nägel über Stein klangen.
Samantha nahm einen tiefen Atemzug, spürte, wie die kalte Luft in ihre Lungen strömte und entsicherte ihre Waffe. Ihre Finger umklammerten den Griff fester, als ein schauriges Knurren aus der Dunkelheit der Gruft drang. Es war ein Geräusch, das nicht von dieser Welt zu stammen schien – tief, rau und hohl. Es hallte von den feuchten Steinwänden wider und trug die Qual jahrhundertelangen Verfalls in sich.
"Wenn dieses ... was-auch-immer ebenfalls aus der Feder unserer Schöpfer stammt", zischte sie durch zusammengebissene Zähne, während sie den Blick starr auf die Dunkelheit der Krypta gerichtet hielt, "dann verbrenne ich sie bei lebendigem Leib."
Langsam, fast widerwillig, setzte sie sich in Bewegung und ging auf die tote Kreatur zu. Jeder Schritt war bedacht, jeder Atemzug flach, als ob das kleinste Geräusch das Wesen wieder zum Leben erwecken könnte. Das schwache Licht des Mondes enthüllte nach und nach ein Geschöpf, das sowohl erschreckend als auch tragisch anzusehen war. Die menschenähnliche Gestalt vor ihr war so abgemagert, dass die Haut – fahl, grau und dünn wie verwittertes Pergament – sich straff über die hervorstehenden Knochen spannte. Bläuliche Adern zogen sich wie das Netz einer Spinne darunter hindurch. Die Gliedmaßen waren krumm und endeten in unnatürlich langen Fingern, deren spitze Krallen an die eines Raubtiers erinnerten, bereit, sich in Fleisch zu bohren.
Samantha konnte den Blick kaum abwenden, so grotesk fasziniert war sie von dem Anblick. Der Kopf des Wesens war kahl bis auf ein paar fettige, schmutzige Haarbüschel, die unregelmäßig aus der fleckigen, fast leprösen Kopfhaut wuchsen. Die tief in ihren Höhlen versunkenen Augen schimmerten unheimlich gelb und starrten leblos zurück. Das Maul des Wesens, offenstehend, offenbarte eine Reihe abgebrochener, zerfallener Zähne, die wie die Trümmer eines verlorenen Lebens wirkten.
Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück, ihre Gedanken rasten. Die Realität dessen, was vor ihr lag, begann sich erst langsam in ihrem Verstand festzusetzen. Ein Schauer lief ihr über die Haut, als sie leise, aber ungläubig flüsterte:
"Das glaube ich doch jetzt nicht ..." Ihre Stimme brach das unheimliche Schweigen und als sie den Blick hob, sah sie fragende Augen auf sich gerichtet. Sie alle hatten die gleiche Mischung aus Abscheu und Unglauben in ihren Mienen.
"Das ist ein verschissener Ghul!", rief sie schließlich, ihre Stimme durchdrungen von einer Mischung aus Abscheu, Wut und einer Spur von Angst.

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Kapitel 11

Ungläubig trat auch Freya an die Gestalt und starrte sie mit angewidertem Gesichtsausdruck an. „Ein beschissener Ghul", raunte sie, umgriff ihre Klingen fester und konnte nicht leugnen, dass sie Unbehagen ergriff. Sie kannte ihre Autorin zu gut und wenn sie jetzt schon damit begann diese Art von Kreatur heraufzubeschwören, würde diese Nacht blutig enden.
Liam verzog ebenfalls das Gesicht bei dem aufsteigenden Gestank. „Das kann doch nicht deren Ernst sein. Wo sind wir hier? Im Horrorkabinett von Thron und Schildmaid, oder was? Lasst uns abhauen, solange wir noch die Möglichkeit dazu haben."
Doch seine Schwester erhob die Braue und sah ihn fordernd an. „Wir wissen beide, dass wir nicht einfach gehen können. Zumindest nicht, um noch mehr Scheiße damit auszulösen", sie blickte über ihre Schulter zurück zu der Krypta, aus welcher erneut tiefes Grollen drang. „Wir werden wohl da rein müssen."
Liam warf genervt die Hände in die Luft, wissend, dass sie recht hatte und trotzdem bis zu seinem Hosenboden genervt. „Fein. Gehen wir eben Ghuls töten. Was sollte man denn sonst an einem Freitagabend machen?"
Der Sarkasmus ließ Jason zwar begreifen, dass Liam ebenso wenig Lust auf diesen Ausflug hatte wie er, aber doch konnte er nicht glauben, dass sie wirklich vorhatten, in diese Gemäuer zu stolpern.
„Das kann nicht euer Ernst sein. Wir schließen diese verdammten Tore und verpissen uns. Schildmaid und Jen können nicht weit sein, sollen sie sich selbst um ihre grandiosen Schöpfungen kümmern."
„Wir sind ihre verdammten Schöpfungen und wie genau hält Noraja das mit dir aus? Ich meine ... Sie ist losgezogen, weil ihr langweilig ist. Und du? Ziehst permanent den Schwanz ein." Freya rollte dabei genervt die Augen und schüttelte mit dem Kopf
„Ich ziehe nicht den Schwanz ein. Ich denke strategisch. Wie viele Ersatzmagazine habt ihr mit? Ich eins. Ich bin nämlich nicht davon ausgegangen, dass wir auf eine Ghuljagd gehen. Also habe ich knapp 30 Schuss. Und so wie ich unsere beiden Superhirne kenne, wartet da unten eine Apokalypse, die Silent Hill alt aussehen lässt."
Kaum, dass er ausgesprochen hatte, flogen zwei volle Magazine durch die Luft und landeten mit einem dumpfen Aufschlag vor Jasons Füßen. „Jetzt bist du bei 90. Triff einfach, dann wirst du es schon überleben", knurrte Freya und drehte ihre Klingen durch die Hände. Die Diskussion war eindeutig beendet.
„Wollen wir Grüppchen bilden, wie in jedem schlechten Horrorfilm?", fragte Liam, stieg dabei über den toten Ghul und machte sich daran, die bröckelnden Stufen der Krypta zu erklimmen.
„Ich bin meine eigene Gruppe, was der Rest macht, ist mir egal", erwiderte Freya, band sich ihre langen Haare zu einem Zopf und machte sich daran, ihrem Bruder zu folgen.
Jason zog einen tiefen Atemzug ein und zögerte. Nachdem er aber sah, dass auch die anderen die Treppen betraten und sich offensichtlich mit ihrem Schicksal abgefunden hatten, hob er die beiden Magazine auf und folgte ihnen mit schweren Schritten.

 Dandelia und Iskaii tauschten einen stummen, wissenden Blick, als ob sie die unausgesprochenen Worte des anderen hören konnten. Sie atmeten tief durch und traten gemeinsam über die Schwelle.
"Wartet mal", rief Samantha hinter ihnen. Sie stoppte Iskaii indem sie ihm eine Hand auf die Schulter legte. "Hat einer von euch noch ein Messer für mich? Ich bin im Nahkampf ausgebildet, aber nicht gerne ohne Waffe. Schon gar nicht gegen Viecher, die es eigentlich gar nicht geben sollte."
Iskaii verzog die Lippen zu einem ironischen Lächeln.
"Eure Waffen taugen also zu nichts, denn zu ohrenbetäubenden Geräuschen?" Kopfschüttelnd ging er in die Knie und der Boden unter ihm knirschte. Er zog ein Jagdmesser aus seinem Stiefel und die Klinge glänzte matt im spärlichen Licht.
"Die sind schon ganz praktisch, keine Sorge. Aber ich bin doch lieber auf möglichst vieles vorbereitet." Sie nahm das Messer entgegen und schob es in den Bund ihrer Jeans. Der Druck der Klinge gegen ihre Haut gab ihr ein Gefühl von Sicherheit, wenn auch nur ein Trügerisches.
Ohne ein weiteres Wort ging sie an den Kriegern vorbei. Sie griff nach einer der Fackeln, die an den steinernen Wänden befestigt waren und das trockene Knistern der Flamme erfüllte die Luft. Das Licht warf flackernde Schatten, die wie lebendige Geister an den Wänden tanzten. Ihr Atem bildete kleine Wolken in der kalten Luft, als sie die Treppe hinabstieg - jede Stufe ein Schritt tiefer in die unbekannte Dunkelheit. Die Atmosphäre änderte sich augenblicklich, als wäre die Luft hier dicker, von etwas Unsichtbarem durchdrungen.
"Du bleibst in meiner Nähe", raunte Iskaii Dandelia zu, seine Stimme war ein raues Flüstern. Seine Augen, so scharf wie die Klingen, die er bei sich trug, durchbohrten die Dunkelheit. "Wir wissen nichts über diese Wesen und ich werde dich nicht in Gefahr bringen."
Die Kriegerin zog eine Augenbraue hoch, ein Funken Belustigung blitzte in ihren eisblauen Iridden auf.
"Ich erspare mir die Aufzählung der Drohungen, die du mir bereits entgegen brachtest", erwiderte sie trocken. Ihr Blick wanderte zu dem Krieger, dessen Schatten durch das flackernde Licht geisterhaft verzerrt wurde. Die Muskeln unter seinem Hemd waren angespannt wie bei einem Raubtier, das auf der Lauer liegt. 
Er schnaubte und setzte seinen Fuß auf die erste Stufe der steinernen Treppe, die in die Tiefe führte.
"Bleib einfach in meinem Sichtfeld", befahl er, ohne sich zu ihr umzudrehen.

"Da unten scheint es schwärzer als die Nacht zu sein", gab Dandelia zurück und ihr Blick wanderte in die undurchdringliche Schwärze hinab. "Welches Sichtfeld?"
Ein tiefes, genervtes Seufzen entfuhr Iskaii.
"Folge mir einfach", sagte er scharf. "Ich erspüre schon, wo du dich befindest."
Die Kriegerin lachte leise, ein Laut, der beinahe verloren ging in der erdrückenden Finsternis. Ihre Stimme klang weicher als sie sagte: "Vor einigen Monden hätte mir diese Aussage noch Angst eingeflößt."
Iskaii drehte sich zu ihr um, sein Gesicht im flackernden Licht der Fackeln halb verdeckt und nun fast auf Augenhöhe mit der Kriegerin.
"Und jetzt?", fragte er leise, seine Stimme rau vor unterdrückten Emotionen. "Was fühlst du jetzt?"
Die Kriegerin trat näher und blickte ihm in die unergründlichen Augen, ihre eigenen klar und unerschütterlich.
"Jetzt?", wiederholte sie, ein Hauch von Herausforderung in ihrem Ton. "Jetzt bin ich bereit, gegen jegliche Kreaturen zu kämpfen. Mit dir oder ohne dich."
Iskaii nickte langsam, seine Augen suchten die ihren, als ob er Bestätigung für etwas suchte.
„Kommt ihr jetzt mal in die Puschen oder was?!" Samantha Stimme riss die beiden Krieger jäh aus ihrer Zweisamkeit. Ihr Tonfall war ungeduldig.
Iskaii und Dandelia tauschten einen kurzen, resignierten Blick und mit einem kollektiven Seufzer setzten sie sich in Bewegung. Kaum hatten sie die ersten Schritte getan, verschlang die Dunkelheit sie. Die Fackel in Samanthas Hand warf flackernde Schatten an die moosbewachsenen Steinwände, die wie lebendige Wesen tanzten und zuckten, ehe sie im nächsten Moment wieder in der undurchdringlichen Schwärze verschwanden.
Das Echo ihrer Schritte hallte hunderte Male von den kalten, feuchten Wänden wider, eine unheimliche Kakophonie, die ihnen das Gefühl gab, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden. Es roch nach modrigem Wasser und altem Tod, ein süßlich-fauliger Gestank, der ihnen bei jedem Atemzug in die Lungen kroch.

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Kapitel 12

Freya hielt in der rechten Hand eine der Fackeln und lief durch einen der engen Gänge. Es war dunkel, stickig und gleichzeitig stank es erbärmlich. Es war nicht der erwartete Duft nach dem Tod, den alle Anwesenden nur zu gut kannten. Nein. Es war eine Mischung aus gegorenem Fleisch, verdorbenem Fisch und dem Hauch von Buttersäure.
„Hat Skàdi geantwortet?", flüsterte Freya, einzig um sich von dem widerwärtigen Geruch abzulenken, der sich wie ein bitterer Film auf ihre Zunge legte.
„Ihre Antwort waren schätzungsweise 50 Mittelfinger", erwiderte Jason, der einige Schritte hinter ihr nah an eine der feuchten Wände gepresst folgte.
Freya hielt an, drehte sich und hielt ihm die Fackel gefährlich nah an das Gesicht. Sein Unmut über die gesamte Situation war in jeder seiner Stirnfalten abzulesen und seine Lippen, die er zu einer schmalen Linie verzogen hatte, bestätigten dies. „Was hast du geschrieben?"
Er rollte die Augen. „Ob sie uns helfen kann."
Freyas frustriertes Stöhnen hallte von den Wänden wider und ein leises Echo dröhnte in den Treppenabgang, welchen sie soeben erreicht hatten. „Ich bin gesegnet mit Idioten", murrte sie, zog ihr Handy aus der Hosentasche und tippte eine schnelle Nachricht.
„Was war daran denn nun wieder falsch?"
Freya steckte ihr Handy wieder ein und betrat die erste Treppenstufe. „Mäuse fängt man doch auch nicht mit Wasser, oder du Vollidiot?"
Ehe Jason etwas erwidern konnte, wobei ihm eigentlich die Worte eh fehlten, verschwanden die Shieldzwilling in der Dunkelheit. Ein letztes Mal blickte er zurück in Richtung des Eingangs, der schon eine Unendlichkeit entfernt zu liegen schien. Von dem Rest der Gruppe gab es kein Lebenszeichen, was nicht verwunderlich war, denn sie hatten sich für einen anderen, noch viel bedrohlicheren Gang entschieden. Er sehnte sich nach seiner Couch. Nach Noraja. Nach einem Abend, an dem nicht sein Leben der Einsatz eines verfickten Spiels war. Ein markerschütterndes Grollen ließ ihn zusammenzucken und seine Beine setzten sich ohne sein Zutun in Bewegung.

„Was zur Hölle ist das hier?" Freya spannte sich an, nachdem sie das Ende der Treppe erreicht hatte. Ein langer Gang erstreckte sich vor ihnen, der ausschließlich von flackernden Lichtern erhellt wurde, welche in unterschiedlichen Abständen aus Höhlen zu stammen scheinen. Sie betrachtete die Wände und stutzte, als ihr die vielen Kratzspuren auffielen. Durchbrochen von dunkler, fast schon schwarzer Flüssigkeit.
„Blut", erklärte Liam, der mit seinem Finger über die Wand gewischt und vorsichtig an der Flüssigkeit gerochen hatte.
Jason formte bereits die ersten Worte, schluckte sie dann aber herunter. Sein Maß an dummen Sprüchen war erreicht.
„Nimm das", flüsterte Freya, reichte die Fackel an ihren Bruder weiter und hob dann bedächtig ihre Hände, damit ihre Klingen vor ihrer Brust ruhten.
Dunkles, gedämpftes Grollen vibrierte durch die Wände und jagte ihr eine Gänsehaut über den Leib. Der Geruch von Verwesung nahm stetig zu und ließ Unheil vermuten. Dicht an der Wand entlang bahnte sie sich den Weg zu der ersten Abzweigung. Sie verharrte einen kurzen Moment und drehte sich dann blitzschnell in die Öffnung. „Das erklärt dann wohl die hohe Anzahl an Händen und Füßen in dem Grab.
Liam und Jason traten neben sie und blickten mit Entsetzen in die Grotte des Grauens.
„Das ist...", begann Jason, verschluckte aber die restlichen Worte samt der Galle, die ihm aufstieg.
„Widerlich", beendete Liam den Satz für ihn und sah mit geöffnetem Mund durch den Raum. Er hatte schon vieles erlebt und war bereits einigem an Grausamkeit begegnet, aber das übertraf alles.
ünf zerfetzte Körper, durchbohrt von rostigen Haken, hingen an den Wänden und wurden abermals von brennenden Fackeln beleuchtet. Dort, wo Hände und Füße sein sollten, war nichts, außer zerfetzte Masse zu erkennen. Geronnenes Blut klebte an den bleichen Hautresten, unter denen weiße Knochensplitter hervorstachen. 

„Sie haben wohl eine Abneigung gegen gewisse Gliedmaßen", stellte Freya nüchtern fest.
Ihr Blick wanderte über eine der Leichen, in deren Brustkorb ein riesiges Loch klaffte. Bei der nächsten hingen die letzten Gedärme aus der offenen Bauchhöhle.
„In dem Grab lagen aber keine Köpfe, oder?", fragte Jason, der sich endlich wieder gesammelt hatte und wieder in den Durchgang trat.
„Nein", erwiderte sie und betrachtete die Stumpen der Hälse, die eigentlich Schädel tragen sollten.
Doch ehe die Gruppe weiter in die Grotte treten konnte, blitzte ein Schatten neben ihnen auf. Krallen, gefolgt von gelben Augen, die den blanken Wahnsinn trugen, schossen auf sie zu.
Freya wirbelte im letzten Moment herum, als der Geruch von Fäulnis ihre Haut streifte, ebenso wie gelbe, abgebrochene Zähne.
Mit einem harten Stoß trieb sie ihre Klinge in den aufgerissenen Kiefer und versenkte sie tief in dessen Rachen. Der Ghul kreischte. Schwarzes, zähes Blut lief über Freyas Hand und benetzte jeden Zentimeter davon. Die Augen des Ghuls weiteten sich, als Freya ihre zweite Klinge hob und sie mit einem tiefen Knurren in seinen Brustkorb jagte. Ein letztes Zucken ging durch den Leib des Monsters, ehe das wenige Leben aus seinen Augen wich und es schlaff zusammenbrach.
Ein schnalzendes Geräusch hallte von den Wänden, als Freya ihre Klingen aus dem Leib zerrte. Mit gerümpfter Nase wischte sie die Dolche an ihrer Hose sauber und sah dann zu den Männern. Sie grinste und zwinkerte Jason zu. „Schau, einer weniger und das ganz, ohne eine Patrone zu verschwenden."

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Kapitel 13

Iskaii und Dandelia fanden sich in einer klaustrophobischen Enge wieder. Die Wände des Ganges schienen enger zu rücken, als wollten sie die beiden verschlingen. Ihre Atemzüge wurden schwerer, die Luft stickig und feucht. Samantha war längst in der Dunkelheit verschwunden.
Dunkle, wabernde Schatten krochen über die Wände und schienen lebendig zu sein. Ein Kratzen, als ob etwas mit scharfen Krallen über den steinernen Boden schabte, erfüllte die Stille, begleitet von einem fauligen Gestank, der die Luft erfüllte und ihnen Übelkeit verursachte.
"Ich wage zu behaupten, dass diese Wesen mit den Démkaorté artverwandt sind, dem Geruch nach zu urteilen", raunte Iskaii leise. Er versuchte, den Ursprung der Geräusche zu lokalisieren, doch sie schienen von überall zu kommen, sich in der Enge zu reflektieren und zu vervielfältigen.
Dandelias Herz klopfte wild in ihrer Brust, doch sie zwang sich zur Ruhe. Ihre Sinne waren angespannt, jede Nervenfaser auf Alarm gestellt.
„Mach dich bereit", flüsterte Iskaii und sie straffte die Schultern und festigte den Griff um das Schwert.
Dann spürten sie die Bewegungen. Zuerst kaum wahrnehmbar, eine Veränderung in der Luft, eine subtile Verschiebung der Schatten. Doch dann wurde es deutlicher. Dunkle Gestalten bewegten sich durch die Gänge, ihre Körper tief gebückt, wie verdrehte Abbilder von Wesen, die einst menschlich gewesen sein könnten. Die Art und Weise, wie sie sich bewegten, war unnatürlich, eine abstoßende Mischung aus Kriechen und Schleichen, die die Luft mit einem kaum hörbaren, aber unaufhörlichen Schaben erfüllte. Gelbe Augen blitzten in der Dunkelheit auf, funkelnd wie krankhafte Flammen. Sie brannten vor Hunger und Wahnsinn, fixierten sich auf Iskaii und Dandelia.
Iskaii hob sein Schwert und die Ghuls reagierten auf die Bewegung. Mit einem kollektiven Fauchen stürzten sich drei von ihnen auf die Krieger, derweil weitere lauerten, bereit, jede Unachtsamkeit auszunutzen.
Der erste Ghul sprang auf Dandelia zu, seine Klauen weit ausgestreckt. Mit einem schnellen Schritt wisch sie zur Seite und ließ ihr Schwert in einem weiten Bogen kreisen. Die Klinge zischte durch die Luft und trennte dem Ghul den Arm ab. Doch statt zu schreien, stieß das Wesen nur ein unheimliches Kichern aus, als es weiter kämpfte, unbeeindruckt von dem Verlust. Mit einer wuchtigen Bewegung rammte es seinen verbliebenen Arm in Dandelias Schulter, seine Krallen tief in ihr Fleisch bohrend. Sie schrie vor Schmerz, trat aber sofort nach und schleuderte den Ghul weg, dessen Knochen unter dem Aufprall knackten.
Iskaii hatte derweil zwei der Kreaturen vor sich. Ihre Bewegungen unvorhersehbar, ein Chaos aus windenden Gliedern und blitzenden Klauen. Er blockte einen Hieb, doch der zweite Ghul sprang in einem grotesken Bogen über ihn hinweg und landete hinter ihm. Der Krieger wirbelte herum, sein Schwert schnitt tief in die Seite der Kreatur, aus welcher direkt ein Strom schwarzen, fauligen Blutes spritzte. Aber bevor er den Hieb zu Ende führen konnte, spürte er eine Hand an seinem Bein.
„Verdammt!", entfuhr es ihm, seine Stimme schneidend vor Wut. Er trat zu. Sein Stiefel krachte auf den Schädel des Wesens und ein widerwärtiges Knirschen erfüllte die Luft, als dieser unter dem Druck nachgab. Splitter von Knochen und Fetzen von fauligem Fleisch spritzten auf und der übelriechende Gestank des Todes wurde nur noch intensiver. Der Ghul zuckte noch einmal auf, bevor er leblos liegen blieb.

Die anderen Ghuls, angestachelt durch den plötzlichen Lärm, nutzten die Gelegenheit. Ein hungriges Grollen drang aus ihren Kehlen und ihre verrotteten Zähne blitzten auf. Einer von ihnen, schneller als die anderen, sprang auf Iskaiis Rücken. Die rasiermesserscharfen Klauen gruben sich tief in seine Schultern, zerrissen Haut und Fleisch, während er ein qualvolles Stöhnen unterdrückte. Die Wucht des Aufpralls riss ihn aus dem Gleichgewicht und er stürzte zu Boden. Ein zweiter Gul kam heran gekrochen. Der Kiefer klapperte auf und zu - ein grauenvolles Geräusch wie brechende Knochen. Speichel tropfte von den verrotteten Lippen, als die Kreatur sich über ihn beugte, bereit, zuzubeißen. Er spürte den fauligen Atem auf seiner Haut, als das Ding sich seinem Gesicht näherte, die Zähne nur noch Zentimeter von ihm entfernt.
Er riss sein Schwert vor und rammte es dem Ghul in den Rachen. Ein abscheuliches, gurgelndes Geräusch entwich der Kreatur, als die Klinge tief eindrang, fauliges Blut spritzte hervor und das Wesen erstarrte, seine Augen weit aufgerissen vor Schmerz.
Der Ghul auf seinem Rücken kreischte auf, als hätte er den Schmerz seines Kameraden gespürt, und biss wild um sich. Iskaii ließ von seiner Waffe ab, griff nach dem Ding auf seinem Rücken und warf es von sich, während er schnell wieder nach seinem Schwert griff und sich erhob.
Eine Kugel zerriss jäh die Luft und drang mit einem dumpfen Schlag durch den Schädel eines Ghuls. Der widerwärtige Leichnam, der sich bereits in den letzten Zuckungen seines unheiligen Daseins befand, zerbarst wie ein ausgetrocknetes Gefäß - Knochen splitterten und verfaulte Haut zerriss.
"Klang so, als braucht ihr Hilfe", kommentierte Samantha, ihre Stimme eine merkwürdige Mischung aus Ironie und Anspannung. Das flackernde Licht ihrer Fackel warf verzerrte Schatten an die feuchten Wände und enthüllte eine ganze Horde Ghuls.
Samantha hielt den Atem an, als die Realität der Situation sie traf. Kälte kroch ihren Rücken hinauf und für einen Augenblick fühlte sie sich gelähmt, gefangen zwischen Kampfeswille und blankem Entsetzen.
Iskaii kämpfte mit einer Wildheit, die den Tod selbst herausforderte. Er trieb seine Klinge tief in die ledrige Haut des Wesens, welches er zuvor abgeworfen hatte. Sein Gesicht verzerrt vor Anstrengung und Ekel, als warmes, fauliges Blut an seiner Hand hinablief.
"Klang auch nur so", fauchte er. Mit einem schnellen, gezielten Stoß riss er seinen Dolch frei und schnitt im gleichen Zug einem weiteren Ghul, der ihn von der Seite angriff, die Kehle auf. Ein widerlicher Gurgellaut entwich dem Geschöpf, bevor es auf die Knie sank und schließlich regungslos zu Boden fiel.
"Die können wir unmöglich alle töten", keuchte Samantha, während sie die Waffe hob und erneut feuerte. Die Kugel bohrte sich in die Stirn einer Kreatur und sie brach zusammen.

Iskaiis grüne Augen blitzten in der Dunkelheit auf. Sie waren kalt wie ein gefrorener See, und als er seinen Kopf neigte, ließ er absichtlich seine Nackenmuskeln knacken. Es klang wie brechendes Holz in der Stille, ein unheimliches Geräusch, das den bevorstehenden Sturm ankündigte.
"Ihr zieht euch zurück und sucht die anderen", befahl er mit einer Ruhe, die fast unnatürlich wirkte. "Ich komme zurecht."
"Das ist Selbstmord!", rief Samantha. Die Ghule waren überall und Iskaii allein gegen diese Horde kämpfen zu lassen grenzte an Wahnsinn. Doch bevor sie weiter widersprechen konnte, trat Dandelia vor. Sie hielt ihre Schulter, wo das Blut zwischen ihren Fingern hindurch sickerte. "Er weiß, was er tut", sagte sie mit fester Stimme. "Wir sind bloß eine Ablenkung. Zu viel Aura für diese Enge." Ihr Blick wanderte zu Samantha, suchte in ihren Augen nach Verständnis. "Wenn wir hierbleiben, sind wir alle tot."
Samantha sah die Entschlossenheit in Dandelias Augen und fühlte, wie sich der Knoten in ihrem Magen enger zog. Es gab keine Zeit zu diskutieren, das wusste sie. Schließlich zuckte sie mit den Schultern und wich zurück.
"Fein", murmelte sie, ihre Stimme klang abwesend, als ob sie die Worte aus einem fernen Traum sprach. "Ein Neandertaler mehr oder weniger. Aber keine Beschwerden hinterher, wenn seine Körperteile hier überall verstreut zu finden sind." Die letzten Worte waren mehr für sie selbst gedacht, ein verzweifelter Versuch, den wachsenden Schatten der Angst zu vertreiben.
"Geht! Jetzt!", knurrte Iskaii, seine Stimme war ein tiefes, kehliges Grollen, das keine Widerrede duldete. Dann stürzte er sich in die Menge. Sein Schwert blitzte auf, ein Silberstreif in der Dunkelheit, und sein Dolch folgte in einer tödlichen Choreographie. Blut spritzte auf, ein zähes Schwarz, das die Wände befleckte, als er wie ein Sturm durch die Reihen der Untoten fegte. Jeder Schlag war präzise, jeder Tritt tödlich. Seine Bewegungen waren eine Kunst für sich, roh und elegant zugleich.

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Kapitel 14

„Runter", brüllte Jason und sofort duckte Freya sich, während sie eine ihrer Klingen über den Brustkorb eines weiteren Ghuls trieb. Gemeinsam gingen sie zu Boden. Jasons Schüsse trafen zwei weitere präzise in die Schädelplatte. Der Ghul neben Freya wandte sich auf seine Gliedmaßen und kroch fauchend auf sie zu. Blut und hervorquellende Gedärme hingen aus seinem Brustkorb, doch offensichtlich schien das diesen nicht zu stören.
Freya sprang auf und holte Schwung. „Stirb." Mit aller Kraft stieß sie das Messer durch seine Augenhöhle und wartete darauf, dass es leblos zusammensackte.
Ein lautes Knacken erweckte ihre Aufmerksamkeit. Ihr Blick huschte zu Liam, der seinen Fuß aus den Überresten eines Ghulschädels zog. „Langsam macht es keinen Spaß mehr."
Es waren kaum zehn Minuten vergangen und die Quote der getöteten Ghuls lag weit über zwanzig. Sie krochen aus allen Ecken und gingen mit wilder Raserei auf alles los, was sich bewegte. Bereits jetzt waren die drei vollständig mit schwarzem Blut und stinkenden Sekreten überzogen. Es verklebte ihre Haare, kroch unter ihre Klamotten und machte aus ihnen Ebenbilder des Schreckens.
Sie waren kaum mehr als wenige Schritte vorangekommen und hingen immer noch in dem dunklen Gang gefangen. Um sie dröhnten unmenschliche Geräusche, die von allen Seiten als Echo auf sie einprasselten.
„Na? Sind wir jetzt wenigstens einer Meinung, dass es eine durchaus beschissene Idee war?"
Freya zeigte Jason den Mittelfinger und drehte sich um ihre eigene Achse.
„Das muss ein Nest sein", gab Liam zähneknirschend von sich.
„Hoffen wir, dass es nur das ist und sich hier nicht eine direkte Pforte zur Unterwelt befindet", maulte Jason und wischte sich mit der Rückhand blutige Knochenreste aus dem Gesicht.
„Wäre dem so, hätte Noraja sich nicht verpisst", stellte Freya fest und doch konnte sie das aufsteigende Gefühl, dass etwas nicht stimmt, kaum noch unterdrücken.
Schlagartig verstummten sämtliche Geräusche. Liam hob den Kopf, sah durch die Gänge und runzelte die Stirn. „Was ist jetzt passiert?"
Freya deutete den beiden mit einem kurzen Kopfnicken an, ihr zu folgen. Schleichend bewegten sie sich durch den Gang, der mit jedem Schritt etwas breiter wurde. Bedacht darauf, dass sie keinen Lärm machten, senkte Freya die Fackel etwas tiefer, um den verschmierten Boden besser zu erhellen. Blutige Pfützen spiegelten das goldene Licht der Flamme wider.
„Waren die anderen schon hier?", fragte Liam kaum hörbar.
„Ich denke nicht", antwortete seine Schwester, als sich sanfter Lichtschein vor ihren Füßen auftat. Zu ihrer Linken erstreckte sich ein weiterer Durchgang, doch hinter ihm lag kein Gang. Es war ein Loch im Felsen, welches den Blick auf grobgehauene Felswände freigab. Vorsichtig traten sie an den Rand, denn vor ihnen tat sich ein metertiefer Abgrund auf und diese Einbuchtung erwies sich als Empore. Bedächtig reckten die drei ihre Köpfe und starrten in den Abgrund.
„Fick mich doch. Das müssen Hunderte von diesen Viechern sein", flüsterte Liam, als hinter ihnen leise Schritte ertönten.

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„Und du bist dir ganz sicher, dass Mr. Unsterblich nicht als Guhlscheiße endet?", fragte Samantha und ihre Stimme schwang zwischen ungläubigem Spott und echter Sorge. Die Fackel in ihrer Hand warf unruhige Lichtkegel an die feuchten Wände des engen Gangs. Samantha biss sich auf die Unterlippe, als sie an die Ghule dachte, die sie hinter sich gelassen hatten.
„Das waren locker noch zwanzig Stück, und wer weiß, ob sich nicht noch mehr in irgendwelchen Löchern verstecken."
Dandelia, die kaum einen Schritt hinter ihr war, hielt kurz inne und zog scharf die Luft durch die Zähne, als sie den Stoffstreifen, der einst der Ärmel ihres Hemdes war, enger um ihre verletzte Schulter zog. „Ich glaubte, Iskaii sei Euch egal", sagte sie, ihre Stimme hart, aber nicht ohne eine Spur von Überraschung. Ihre Finger waren blutverschmiert, der Schmerz ließ ihren Kopf dröhnen. „Woher kommt die Sorge?"
Samanthas Schultern spannten sich an, sie blieb stehen, drehte sich langsam um und sah Dandelia in die Augen, ihre Miene plötzlich ernst, die Kälte, die sie sonst umgab, schien für einen Moment zu schmelzen.
„Ich bin kein komplettes Arschloch", murmelte sie, als hätte sie es mehr zu sich selbst gesagt als zu Dandelia. „Es wirkt nur so."
Die Worte hingen schwer zwischen ihnen, ungesagt blieb das, was dahinter lag. Ein Hauch von Reue, der bloße Schatten einer Vergangenheit, die Samantha tief unter ihrem zynischen Äußeren begraben hatte. 

„Dieser Dämlack riskiert gerade sein Leben", fuhr die Rothaarige fort, „während wir lustig durch diese beschissenen Gänge irren, auf der Suche nach CCKs Irren, von denen wir vielleicht nur die Überreste finden."
Der Tunnel vor ihnen schien endlos zu sein, ein Labyrinth aus Finsternis und Gefahr. Samantha hob die Fackel höher und setzte sich in Bewegung, entschlossener als zuvor. Dandelia folgte ihr, den Schmerz ignorierend, der ihre Schulter durchzuckte."Iskaii ist kein gewöhnlicher Krieger. Hätten wir auch nur einen Moment länger gewartet, hätten wir unser aller Tod riskiert."
"Wenn du das sagst, Weißlöckchen", gab sie zurück. Doch Dandelia ließ sich nicht beirren. Ihre Hand, kleiner, zierlicher, aber fest wie Stahl, schoss vor und packte Samantha am Arm, mit einer Dringlichkeit, die keine Widerrede duldete.
"Ich kenne ihn ...", begann sie, und die Enge um sie herum schien plötzlich stiller zu werden, als ob selbst die Schatten den Atem anhielten und zwang sie, abzubrechen. "Riecht Ihr das?" Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, doch die Schärfe darin schnitt durch die drückende Stille. Samantha hob die Nase, schnupperte zögerlich und eine Welle von Ekel durchflutete sie. Der Geruch war überwältigend, ein Übelkeit erregender Cocktail aus Fäulnis, Verwesung und Moder, der sich wie eine schwere Decke über ihre Sinne legte.
"Ich beschwere mich nie wieder über Dean, nachdem er stundenlang trainiert hat und mir seine Achselhöhle unter die Nase hält", murmelte sie, halb scherzhaft, halb ernst, in einem Versuch, die unerträgliche Spannung zu brechen. "Diese Guhle übertreffen echt alles." Aber selbst als sie das sagte, bemerkte sie eine Nuance im Gestank, die ihr zuvor entgangen war, etwas, das unter der widerwärtigen Oberfläche lauerte.
"Das ist nicht nur der Gestank dieser Kreaturen. Darunter schwebt noch ein anderer Geruch...", bemerkte Dandelia leise.
Samantha atmete tief ein, zwang sich, die olfaktorische Barriere zu durchbrechen und sofort wurde ihr klar, was Dandelia meinte.
"Du hast recht", wisperte sie, ihre Stimme war nun todernst, alle Spur von Humor verflogen. "Das ist Blut. Viel frisches Blut." Der Gedanke daran ließ eine kalte Welle über ihren Rücken laufen, doch sie unterdrückte das Zittern, das in ihren Gliedern aufsteigen wollte.
Entschlossen setzte sie sich wieder in Bewegung, ihre Schritte hallten leise in der Finsternis wider und Dandelia folgte ihr dicht auf den Fersen. Die Luft um sie herum wurde schwerer, dichter, und das bedrückende Gefühl der nahenden Gefahr legte sich wie ein Schleier über sie. Nicht lange, dann ging das dumpfe Klacken ihrer Schuhe in ein widerliches, nasses Platschen über.
Ein schneller Blick nach unten ließ Samantha den Atem anhalten. Der Boden aus solidem Stein war übersät mit dunklen, glänzenden Pfützen, die sich wie zähflüssiger Sirup in den Ritzen des alten Gemäuers sammelten. Blut, dunkel und frisch, glänzte in der schwachen Beleuchtung, und die purpurne Flüssigkeit schien beinahe zu pulsieren, als ob sie noch lebte, noch warm und voller Energie war.
„Das hier ist nicht cool, überhaupt nicht", flüsterte Samantha mit zitternder Stimme, während sie sich an Dandelia wandte. „Ich mag gar nicht darüber nachdenken, worauf das hinausläuft." Der Gestank von Verwesung mischte sich mit dem metallischen Duft von Blut und brachte eine Übelkeit in ihnen auf, die nur schwer zu unterdrücken war.
Plötzlich öffnete sich vor ihnen ein Raum, größer und bedrohlicher als alles, was sie bisher gesehen hatten. Ihre Blicke hoben sich zögernd und erfassten die gewölbte Decke, die von Schatten durchzogen war. Ein dumpfes, unheimliches Grollen hallte durch die Mauern. Doch es war nicht die Architektur, die ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ, sondern das, was sie auf den steinernen Altären entdeckten. Dandelias Herz schlug heftig in ihrer Brust, als sie die Leichenteile sah, die wie groteske Trophäen aus einem Albtraum darauf drapiert waren. Die Überreste von Menschen, unvollständig und grausam verstümmelt, lagen in einem bizarren Muster verteilt, als hätte ein wahnsinniger Künstler seine kranke Vision hier ausgelebt.

Ihr Blick fiel auf die verstreuten Gliedmaßen, die den Boden bedeckten wie die Reste eines makabren Banketts. Zwischen den Steinen hatten sich dunkle Lachen von geronnenem Blut gebildet, in denen sich die schummrigen Lichtstrahlen der Fackel verloren. In großen Bottichen quollen Organe und Eingeweide hervor, als wären sie achtlos dort hineingeworfen worden, wie Abfall, den niemand entsorgen wollte. Das grauenhafte Schauspiel ließ ihre Haut vor Ekel und Entsetzen prickeln.
An den Wänden klebten Haarbüschel, feucht und unheimlich, als wären sie von einem unbarmherzigen Handwerk zurückgelassen worden. Die rostigen Folterwerkzeuge, die wie düstere Trophäen an den Wänden hingen, schienen Geschichten von unsagbarem Schmerz und Qualen zu erzählen.
Der Geruch war überwältigend. Es war eine Mischung aus Eisen, Blut und Verfall, die so intensiv war, dass die beiden Frauen gezwungen waren, durch den Mund zu atmen. Ihre Kehlen brannten und es kostete sie all ihre Willenskraft, nicht vor Ekel zu erbrechen. Sie konnten die Bitterkeit des Todes auf ihren Zungen schmecken, während sie versuchten, sich nicht von der Panik überwältigen zu lassen, die in ihnen aufstieg.
"Guhle brauchen keine Folterwerkzeuge", raunte Samantha und fügte hinzu: "Ihre bloße Existenz ist Qual genug für jedes Lebewesen, das ihnen in die Finger fällt."
Mit jedem Schritt, den sie auf dem kalten, feuchten Boden machte, hallte das leise Echo ihrer Schritte durch den Raum. Plötzlich spürte sie unter ihren Chucks ein leises, widerliches Ploppen, gefolgt von einem feuchten, glitschigen Gefühl. Sofort hielt sie inne, ihr Herz schlug schneller, und sie konnte das Adrenalin förmlich in ihren Adern rauschen hören.
Langsam ließ sie die Augenlider sinken, als ob sie das vor der grausamen Realität schützen könnte, die sie unter ihren Füßen vermutete. Doch die Neugier zwang sie, die Augen wieder zu öffnen. Zögerlich ließ sie den Blick nach unten wandern, ihr Atem stockte. Das Licht, das von ihrer Fackel ausging, fiel auf etwas, das schlaff und glanzlos am Boden lag – ein geplatzter Augapfel, dessen Flüssigkeit in einem widerlichen Schleim auf dem dreckigen Boden zerflossen war. Der Anblick war so grotesk, dass ihr Magen sich zusammen krampfte, doch sie zwang sich, nicht die Beherrschung zu verlieren.
Ihre Lippen verzogen sich in einem Ausdruck purer Abscheu, während sie sich tief nach vorne beugte und mit der Spitze ihres Schuhs versuchte, den glitschigen Überrest von ihrer Sohle zu kratzen. Der Augapfel wollte sich nicht lösen, er schien fast klebrig zu sein, als ob die Reste von Leben, die er einst beherbergt hatte, sich verzweifelt an sie klammern wollten.
„Wir werden diese verfluchte Krypta mit allem und jedem darin in die Luft jagen." Ihre Stimme zitterte vor angestauter Wut und Abscheu. Jede Faser ihres Seins wollte nur noch weg von diesem schrecklichen Ort, der von Tod und Verzweiflung durchdrungen war.
Samantha zog das Handy aus ihrer Jeanstasche und geübt tippte sie einhändig eine Nachricht. 

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Kapitel 15

Lautlos drehten sich die Drei herum und starrten in die Dunkelheit. Die Schritte hallten unnatürlich laut durch den Gang. Leises Gemurmel begleitete sie und ein unangenehmes Kribbeln erfasste Freya. Ihre Finger schlossen sich fester um ihre Klingen, als eine Gestalt aus den Schatten in den flackernden Lichtschein der Fackel trat.
„Na wenn das nicht meine Lieblingshieldableger sind!"
Mit aufeinandergepressten Zähnen drehte Freya den Blick zu ihrem Bruder, der sich sein dämliches Grinsen kaum noch verkneifen konnte.
„Prinzessin", der Neuankömmling nickte Freya theatralisch zu, während er sich eine Kippe an den Mundwinkel legte. „Ein wahrlich sonderbarer Ort für ein Wiedersehen. Der Weg zu euch war gepflastert mit gematschten Ghulüberresten. Ich muss sagen. Sehr widerlich. Zumindest für das normale Auffassungsvermögen des menschlichen Verstandes, doch..."
„Fergus. Halt. Deine. Verfickte. Fresse!" Freya hielt ihre Stimme bedeckt, dennoch ging nichts an Dringlichkeit verloren. Ihre Nasenflügel bebten, während ihr Blick über den verdammten Argentiniern glitt. Sein Kopf zierte ein perfekter Scumbag Boogie Haarschnitt. Seine dunkelbraunen Haare lagen in einer marklosen Welle auf seinem Oberkopf. Natürlich tauchte er hier top gestylt auf. Er trug ein weißes Hemd, über welches sich braune Hosenträger spannten und somit farblich perfekt zu dem grobgewebten Jackett passten. Seine dunkelblaue Rew Jeans war makellos und nur seine polierten Stahlkappenstiefel waren mit feinen Blutspritzern betäubt.
Sie hasste ihn. Immer schon, doch jetzt ein klein wenig mehr. Während er aussah, wie aus einem verdammten Katalog, stank sie wie eine Grube voller Verwesung. Ihr Blick wurde tödlicher als die Klingen in ihrer Hand, die sich drohend in seine Richtung bewegten.
Ein zynisches Lächeln legt sich in sein glattrasiertes Gesicht. „Wie habe ich deine Feindseligkeit vermisst, meine Teuerste."
„Bei den Göttern. Schildmaid hat eine Bandbreite an Charakteren, die sie uns an den Hals hetzen kann... und sie wählt dich. Ausgerechnet dich...", knurrte Freya und rümpfte die Nase. Kopfschüttelnd trat sie an ihrem Bruder vorbei und ließ den Blick wieder in das Gewölbe voller Ghuls schweifen. Was auch immer sie da unten taten, fesselte sie so sehr, dass ihnen ihre Gruppe nicht auffiel. Sie trat noch einen Schritt näher an den Abgrund und neigte den Kopf.
„Was wird das?", fragte ihr Bruder, während Fergus einen weiteren Monolog über die Wahrscheinlichkeit ihres Überlebens führte.
Die Umgebung aufmerksam musternd, erfasste Freya am anderen Ende einen weiteren Durchbruch, in dem ein Schatten verharrte. Grün, verengte Augen trafen auf ihre und ein Moment der Stille entstand.
„Freya?" Ihr Bruder legte ihr sanft die Hand auf die Schulter und zog sie leicht zurück.
„Ich wäge ab, ob ich mich oder Fergus in diese Ansammlung von Ghuls werfe."
„Ich würde es bevorzugen, wenn es keinen von uns trifft. Offensichtlich sind wir deren Anzahl nicht gewachsen. Zwar könnte ich mit einer Nase voll Koks aushelfen, dann würden wir uns vielleicht unsterblich fühlen – dennoch würden wir diesen Schachzug nicht überleben."
Fergus kam Freya mit jedem Schritt näher, spähte über ihre Schulter und lehnte sich nah an ihr Ohr. „Vielleicht ist es deine letzte Chance, mir die Kleider vom Leib zu reißen?"
Augenrollend stieß sie ihm ihren Ellenbogen hart gegen die Brust, was ihn zurücktreten ließ. „Nicht wenn du der letzte Schwanz auf diesem Planeten wärst!"
In einer dramatischen Geste presste Fergus die Hände über seine Brust und verzog das Gesicht zu einem erbärmlichen Anblick. Er sah aus wie ein verdammter Welpe im strömenden Regen. „Immer wieder verletzt du mein armes, kleines, schwarzes Herz."
Mit einem abwertenden Schnauben wendete Freya sich wieder von ihm ab und ignorierte den weiteren Wortschwall. „Lasst uns die anderen suchen, wir können nicht getrennt gegen diese Ansammlung von stinkenden Tod kämpfen", knurrte sie und blickte ein letztes Mal zu Iskaii, der scheinbar zu demselben Entschluss gekommen war und aus dem Durchgang zurückwich.
Doch kaum, dass Freya einen Schritt zurücktrat, ertönte ein leises Knirschen und ehe sie wirklich begriff, sah sie den faustgroßen Stein, der sich aus der Empore gelöst hatte und in die Tiefe fiel. Er schlug in die Schädeldecke eines Guhls ein. Blut und Knochen spritzen und benetzten die umliegenden Kreaturen, die einen Augenblick auf den nun toten Ghul starrten, bevor sie knurrend und vor Wut fauchend die Köpfe hoben.
„Oh fuck. LAUFT!"

​

Iskaii horchte auf, als der durchdringende Ruf in den dunklen Korridoren widerhallte, kaum dass er sich in die schützenden Schatten des Ganges zurückgezogen hatte. Sein Herz schlug schneller, Adrenalin schoss durch seine Adern. Das Grollen und Scharren der Ghule, die die uralten Steinwände erklommen, erfüllte die Luft wie das Vorbeben eines bevorstehenden Sturms. Die Vorstellung, dass die untoten Kreaturen die Gruppe um Freya erreichen könnten, ließ eine eisige Kälte durch seinen Körper fahren. Sein Atem wurde schwerer, seine Gedanken schärfer.

 Ein roher, uralter Fluch verließ seine Lippen, ein Laut aus einer Sprache, die lange vor der Menschheit entstanden war, und in der Dunkelheit wie eine Herausforderung an die Dämonen selbst klang. Ohne zu zögern trat er aus dem Schutz des Durchgangs hervor, sein Blick suchte und fand die verhassten Kreaturen, die sich wie hungrige Schatten auf die Wände warfen. Seine Augen verengten sich, als er die Szene erfasste. Er wusste, dass er handeln musste – und zwar jetzt.
Mit einem lauten, scharfen Pfiff, der von den steinernen Wänden widerhallte, durchbrach er die Geräuschkulisse. Die scharfen Töne bohrten sich in die Ohren der Ghule, ließen sie innehalten, ihre widerlichen Köpfe in seine Richtung drehen. Gelbe Augen, die wie glühende Kohlen in leeren Schädeln schimmerten, fixierten ihn. Iskaii konnte die grausame, instinktive Gier nach Leben spüren, die sie antrieb.
Einige Ghule zögerten, die Krallen ihrer Hände noch immer in die zerklüfteten Wände gekrallt, während sie zwischen den beiden Zielen hin und her gerissen waren. Doch es waren genug, die sich nun mit einem animalischen Knurren von der Wand abwandten und in seine Richtung stürmten.
Ein Hauch von Erleichterung mischte sich unter seine Anspannung – Freyas Gruppe hatte nun einen Vorsprung, eine Chance, sich in Sicherheit zu bringen. Aber diese Erkenntnis war nur von kurzer Dauer, denn die Horde war nun auf ihn fokussiert, und es gab keinen Raum für Fehler.
Iskaii umklammerte den Griff seines Schwertes fester, die kühle, vertraute Berührung des Stahls gab ihm Kraft. Ein hartes, abschätziges Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich auf den bevorstehenden Kampf vorbereitete.
Der Boden unter seinen Füßen vibrierte, als die ersten Ghule nahe genug waren. Er preschte voran, sein Schwert wie ein Blitz aus blankem Stahl in der Luft, bereit, das Chaos zu entfesseln, das in ihm brodelte.


"Was zur Hölle macht der Typ da?! Ist das eine moderne Art von Selbstmord?" Die tiefe Stimme war eine Mischung aus Schock und Ungläubigkeit, als er die Worte herausstieß. Das Knurren der Ghule setzte sich wie ein dumpfer Trommelschlag in seinen Ohren fest.
Samantha seufzte leise, eine Spur von Müdigkeit schwang in ihrer Stimme mit.
„Er hat solche Anwandlungen", antwortete sie schließlich und hob dann ihre Hand, um in einen düsteren Gang zu deuten, in dem gerade der breite, muskulöse Rücken von Jason in der Dunkelheit verschwand. „Und ehrlich gesagt, ich hinterfrage es nicht mehr." Ihre Stimme war ruhig, aber da war ein Hauch von Sorge, die sie nicht ganz verbergen konnte. „Los jetzt, Dean! Ich habe dich nicht gerufen, damit du dumm rumquatschst." Ihre Stimme schnitt durch die schwere Luft wie ein Messer, entschlossen, unnachgiebig. „Da oben sind die anderen."
Dean konnte die Frustration in sich aufsteigen spüren, als er auf die Ausrüstung auf seinem Rücken linste.
„Du sagst mir also, ich habe meine Ausrüstung umsonst hier heruntergeschleppt?", fragte er, ein Hauch von Ärger in seiner Stimme.
Samantha hob eine Augenbraue und schüttelte leicht den Kopf, wobei ihre Lippen ein dünnes, fast entschuldigendes Lächeln formten. "Sieh es als Trainingseinheit und nein, Dean, deine Granaten werden uns noch nützlich sein. Glaub mir." Ihre Stimme klang nun weicher, versöhnlicher. „Aber vorher sollten wir weiter an die Oberfläche, bevor wir sie nutzen."
Dean spürte, wie sich sein Magen verkrampfte, als er einen letzten Blick auf den Gang warf, in dem Jason verschwunden war. Das Knurren und Scharren der Ghule war nun lauter, bedrohlicher, als sie sich näherten.
Seine Augen verengten sich, als er Iskaii erblickte, der standhaft inmitten des Sturms stand.
„Ihn lassen wir einfach zu Hackfleisch verarbeiten?", fragte er mit einer Bitterkeit in der Stimme, die nicht zu überhören war. „Du hattest schon sozialere Tage, Sam."

„Er kommt klar", sagte die Rothaarige, doch Unsicherheit loderte in ihren grünen Augen. Sie konnte den Blick nicht von Dandelia abwenden, die mit gleicher Besorgnis auf die Schlacht im Halbdunkel starrte. Zwischen den zuckenden Bewegungen der Ghule blitzten immer wieder die Umrisse von Iskaii auf, sein Schwert ein silberner Schein inmitten der Schatten.
„Er hat gegen ganze Truppen von Niasianern gekämpft", murmelte Dandelia, mehr zu sich selbst als zu den anderen. Ihre Stimme war fest, doch ein Zittern in ihren Händen verriet die Angst, die sie hinter ihrer Maske der Zuversicht zu verbergen suchte. „Und er hat Démkaorté bezwungen, ohne einen Kratzer abzubekommen. Iskaii wird auch diese Kreaturen besiegen." Doch selbst während sie sprach, suchte ihr Blick vergeblich nach einem Zeichen, einem Funken, der ihre Worte bestätigen würde.
Dean seufzte tief und zog die Schultern hoch, als wollte er die Spannung aus seinen Muskeln vertreiben.
„Wenn ihr das sagt, bin ich fein damit", brummte er und ließ seinen Blick noch einmal über Iskaii und die Ghule schweifen, die in immer größerer Zahl auf ihn eindrangen. „Aber wir sollten uns jetzt wirklich auf den Weg machen, bevor diese widerwärtigen Viecher uns auch noch entdecken. Ich will nicht bereuen, meinen freien Abend sausen gelassen zu haben, nur um eure Ärsche zu retten."
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und setzte sich in Bewegung, seine Schritte hastig, fast fluchtartig. Samantha warf Dandelia einen letzten Blick zu, ehe sie Dean folgte. Der Weg führte bergauf und mit jedem Schritt wurde die Luft schwerer, als würde das Gewicht ihrer Sorge sie niederdrücken.
Dandelia zögerte einen Moment länger, ihre Augen fest auf die Stelle gerichtet, wo Iskaii zuletzt zu sehen gewesen war. Ihr Herz schlug schneller, in ihrem Kopf ein Wirrwarr aus Gebeten und Befehlen, die sie sich selbst zu erteilen versuchte. Dann drehte auch sie sich um und rannte den anderen hinterher, ihre Gedanken noch immer bei dem Krieger. Der Gedanke, ihn zurückzulassen, nagte an ihrem Gewissen, aber sie wusste, dass sie jetzt keine Wahl hatten.
"Wo steckt eigentlich dieser andere finstere Kerl? Antry? Wäre das hier nicht genau sein Ding?"
"Der ist mit Noraja unterwegs", antwortete Samantha dicht hinter ihm.
Dean blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihr um. Sein Blick war scharf und voller Unglauben.
"Die Zwei vergnügen sich also vermutlich irgendwo bei Whisky auf einem Hotelzimmer und überlassen uns diese halb verwesten Dinger? Ernsthaft?" Seine Stimme triefte vor Sarkasmus, doch darunter lag ein Funken von Frustration, der sich nicht so leicht abschütteln ließ. Er schnaubte verächtlich und rollte die Augen, als ob er damit die ganze Absurdität der Situation abschütteln könnte, bevor er sich wieder dem dunklen Gang zuwandte.
Das dumpfe Murmeln von Stimmen durchbrach die Stille und ließ Dean innehalten.
"Das müssen Freya und die anderen sein", erkannte Samantha und in ihrer Stimme lag Erleichterung. Ohne zu zögern griff sie nach einer der Blendgranaten, die an Deans Rucksack befestigt waren.
"So wie das klingt, brauchen wir die." Es war weniger eine Feststellung als eine stille Vorwarnung und Dean nickte kaum merklich.

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Kapitel 16

„Was für eine verfickte Scheiße ist das denn?" Fluchend wandelte Skàdi durch die Dunkelheit. Ihr Blick huschte über die leblosen Fleischfetzen, die den Boden bedeckten. Ein dunkles Grollen begleitete sie und Narcos orangefarbene Augen begannen bereits zu glühen. Sie waren bereits unzählige Male abgebogen. Hatten Kammern voller Leichenreste gesehen und mussten über unzählige Blutlachen springen. Er war eindeutig angepisst.
Beruhigend streichelte sie den kniehoch gewachsenen Hund über das schwarze Fell.
„Hör auf. Du hattest Recht und ich habe meine Ruhe. Wir hätten auf der Terrasse bleiben sollen, doch erstmal darf mir der Shieldspössling erklären, wie sie darauf kommt, dass ich hier Spaß haben könnte.
Narcos gab ein weiteres dunkles Knurren von sich, als das Klirren von Metall auf Stein zu ihnen drang. Erbärmliches Gejammer ertönte, ebenso wie schmatzende Geräusche. Eine sanfte Bewegung ihrer rechten Hand ließ kleine Lichtpunkte auf ihrer Handfläche entstehen. Vor ihr offenbarte sich ein Durchgang, der kaum mehr als ein Spalt war. Narcos passte gerade so hindurch und Skàdi war selbst mit ihren 1,60m gezwungen, ihren Kopf zu senken. Spinnweben legten sich in ihren grasgrünen Haaren ab und kitzelten auf ihrer Gesichtshaut. Wut schoss ihr durch die Adern und ließ die Lichtkugeln auf ihrer Handfläche kurz aufflackern.
„Sie werden sterben. Alle", grollte sie, als ihre Jogginghose an einem der spitzen Felsen hängenblieb und der dünne Stoff aufriss.
Sie trat aus dem Felsspalt und stand in einem Gang, der deutlich heller war als jeder den sie bis jetzt hinter sich gebracht hatte. Vor ihr, mit wenigen Metern Abstand, tauchte eine Ansammlung Ghuls auf, welche sich um einen dunklen Krieger scharrten. Kunstvoll trieb er seine Klinge durch die Kreaturen. Blut und Eingeweide spritzten um ihn und zeichneten gespenstische Bilder an die Steinwände.
Skàdi runzelte die Stirn, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an die Wand. „Er scheint ganz gut allein zurechtzukommen."
Narcos brummte zustimmend und setzte sich gelangweilt neben sie. Sie beobachteten das Schauspiel eine Weile. Der Krieger schien nicht zu ermüden, dennoch nahm die Anzahl der Angreifer stetig zu.
„Muss einer von Jen sein. Den habe ich bei uns noch nicht gesehen", raunte sie und gähnte dabei. Vielleicht hätte sie wirklich einfach zu Hause bleiben sollen. Es sah nicht so aus, als würde ihre Hilfe wirklich gebraucht.
Doch plötzlich vibrierten die Wände, Schreie hallten gedämpft durch die Kampfgeräusche, und selbst der Krieger wechselte schlagartig die Richtung und versuchte sich, einen Weg aus den Ghulmassen zu kämpfen.
Skàdi gähnte erneut, drückte sich von der Wand ab und sah zu Narcos. „Oder diese Versager brauchen uns doch."
Narcos schüttelte sich und schien offensichtlich anderer Meinung zu sein, doch da begannen bereits feine Fragmente, um sie zu tanzen und verdichteten sich zu einem schwarzen Nebel. Skàdis grüne Iriden verblassten und schwarze, nach oben geöffnete Sicheln zeichneten sich in ihren weißen Augäpfeln ab. Um ihre Handflächen wirbelten kleine, blaue Lichtpunkte und ein breites Grinsen legte sich in ihr Gesicht.
Kaum, dass sie der Ghulhorde näherkam, vernahmen diese ihre Anwesenheit und stürmten mit erhobenen Klauen auf sie zu. Eine kaum wahrnehmbare Handdrehung ließ die Kreaturen innehalten. Ihre weit aufgerissen gelben Augen zeigten Entsetzen, während diese immer weiter aus den Augenhöhlen getrieben wurden. Ihre Klauen griffen panisch zu ihren Kehlen und zerfetzten sich dabei selbst das Fleisch. Doch selbst als deren Luftröhre offen lag, gelangte kein Sauerstoff mehr in ihre Lungen.
Ghul für Ghul fiel mit zerplatzten Augen und aus allen Öffnungen blutend zu Boden, ohne dass Skàdi einen weiteren Schritt machte.
Erst als eine tödliche Stille um sie herrschte, senkte sie die Arme und der schwarze Nebel um sie verschwand. Ihre tiefgrünen Iriden kehrten zurück und sie hob den Blick zu dem Krieger, dessen Schwert nun an ihrer Kehle ruhte. Narcos' Nackenhaare stellten sich auf. Speichel rann von seinen freigelegten Zähnen. Sein Knurren vibrierte tief durch ihre Knochen. Ein weiteres Lächeln zuckte über Skàdis Lippen, als sie ihr Wort an den Krieger richtete.
„Du willst mich nicht als Feind. Senke dein Schwert – Iskaii."
Iskaii stand reglos wie eine Statue. Seine kalten Augen, die schon so viele Schlachten gesehen hatten, musterten die kleine Gestalt vor sich. Sie reichte ihm kaum bis zur breiten Brust. Ein Hauch von Verwirrung blitzte kurz in seinen Augen auf, als er ihre seltsame Kleidung erfasste - ähnlich wie die von Freya.
Doch was ihn wirklich innehalten ließ, war nicht ihre Kleidung, sondern das, was er in ihrem Blick las. Ihre Augen strahlten eine Furchtlosigkeit aus, die ihm fremd war. Wie konnte sie so ruhig bleiben, während seine Klinge an ihrer zarten Kehle ruhte? Er spürte ihren gleichmäßigen Atem - ein sanfter, ruhiger Rhythmus.
Er war über und über mit dem schwarzen Blut und dem widerlichen Sekret der Ghuls bedeckt, die er niedergestreckt hatte. Der Gestank des Todes hing schwer in der Luft, mischte sich mit dem modrigen Geruch der uralten Krypta. Doch sie zeigte keine Spur von Angst.
Plötzlich spürte er etwas, das ihn wie ein eisiger Hauch durchzog – ihre Aura. Sie war fremdartig, ein unheilvolles Pulsieren, das seine Haut kribbeln ließ, als würde er eine unsichtbare, gewaltige Macht spüren, die jeden Moment entfesselt werden könnte. Es war die Art von Macht, die die Naturgesetze selbst zu biegen schien und er erkannte, dass sie kein Mensch war. Aber auch wenn er die Gefahr spürte, hatte sie ihre Macht nur gegen die Ghuls eingesetzt, nicht gegen ihn. Das ließ Hoffnung in ihm aufkeimen – eine zarte Blüte in einem Feld der Verwüstung.
Mit einem langsamen, bedachten Atemzug ließ er sein Schwert sinken. Die Klinge, noch immer von den Überresten der Untoten befleckt, glitt sanft von ihrem Hals. Er konnte spüren, wie sich die Anspannung in seinen Muskeln löste, doch seine Wachsamkeit blieb ungebrochen. Über ihnen vibrierte die Decke bedrohlich und das Grollen eines dumpfen Donners hallte durch die finsteren Gänge. Steinchen und lose Erdkrumen rieselten von den Wänden herab, als ob die Krypta selbst unter dem Druck des Bösen um sie herum ächzte. Aus der Dunkelheit drangen die qualvollen Schreie der noch lebenden Ghule, ein Echo des Schreckens, das bis in die tiefsten Winkel der Finsternis reichte.
Doch Iskaii ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sein Blick blieb fest auf die Frau gerichtet.
„Es scheint, Ihr habt mir etwas voraus. Immerhin kennt Ihr meinen Namen", sagte er schließlich, seine tiefe Stimme klang gelassen, als würde er an einem warmen Kamin sprechen und nicht am Rande der Hölle stehen. „Womöglich möchten Ihr und Euer Schoßhund mich aus dieser elenden Krypta begleiten und mir verraten, wer Ihr seid?"
Skàdi hielt dem durchdringenden Blick des Kriegers mit gewölbter Braue stand. Ihre Nasenflügel bebten, doch außer dem Geruch von frischem Blut und dem Gestank der ausgeweiteten Leiber drang nichts Befriedigendes zu ihr hindurch. Es fehlte die süßliche Note der Angst, die sie sonst zu diesem Zeitpunkt beflügelte. Ernüchternd. Er hatte keine. Sie nahm sich einen weiteren Moment, um seinen mit Blut überzogenen Körper zu begutachten. Seine stattliche Figur trieb ihr beinahe ein Lächeln ins Gesicht. Seine Bekleidung hingegen ließ sie an ihrem Verstand zweifeln. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, warum sie ihn verschont hatte. Wahrscheinlich lag es daran, dass er offensichtlich gegen die Kreaturen und nicht mit ihnen gekämpft hatte. Das machte ihn aber noch lange nicht zu einem Freund. Genaugenommen würde keine seiner Taten ihn dazu machen. Skàdi hatte keine Freunde.
Narcos bebte vor angestauter Frustration. Seine scharfen Krallen kratzten über den unebenen Steinboden, wobei er das schwarze Blut, welches von dem Krieger tropfte, verschmierte. Seine Augen glühten und wirkten, als würden sie jeden Moment explodieren. Iskaii hatte zwar die Klinge von ihrer Kehle genommen, doch für Narcos' Geschmack stand er eindeutig noch zu nah. Skàdi hätte ihn zur Ruhe zwingen können, doch sie dachte nicht daran. Stattdessen zog sie den Ärmel ihres ausgewaschenen grauen Hoodies über ihre Hand und wischte sich angewidert die Blutreste, die das Schwert an ihrer Kehle hinterlassen hatte, ab. Ein weiteres Beben über ihnen ließ sie den Blick von ihm lösen. Sie senkte den Kopf. Strich über das weiche Fell ihres Hundes, der sich augenblicklich entspannte und trat mit ihm an dem Krieger vorbei.
„Nein", antwortete sie knapp und bahnte sich den Weg durch die verstümmelten Überreste, die den Gang säumten. Sofort umgaben sie wieder schwarze Fragmente und bildeten eine schützende Nebelwand um sie, während gleichzeitig eine bittere Kälte den Raum erfüllte.
Iskaii hob eine Augenbraue und verfolgte die Gestalt, die sich in die Dunkelheit zurückzog, mit einem wachsamen Blick. Sie war zweifellos das merkwürdigste Wesen, das ihm jemals begegnet war. Ihr Gang hatte eine seltsame Mischung aus Eleganz und Wildheit, als würde sie gleichermaßen zwischen zwei Welten wandeln. Irgendetwas an ihr machte ihn unruhig, aber er konnte nicht genau sagen, was es war. Doch sie schien selbstbewusst, fast unantastbar, wie eine Silhouette inmitten eines Sturms.
Er zuckte schließlich mit den Schultern und riss seinen Blick von ihr los. Was auch immer sie war, sie konnte offenbar auf sich selbst aufpassen. Sein Blick wanderte zur Decke, die drohend über ihm hing. Große, faustgroße Brocken des brüchigen Gesteins fielen herab, krachten auf den Boden und zerschmetterten dabei die Überreste der niedergestreckten Ghule. Feine Risse zogen sich wie ein Spinnennetz durch den rauen Stein und das unheilvolle Grollen, das von oben ertönte, ließ die gesamte Krypta erbeben.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er plötzlich etwas auf seiner rechten Schulter. Mit Ekels fokussierte er den Anblick und erkannte, dass ein schmieriger, blutiger Fleischfetzen an seiner Kleidung klebte. Ein abgerissenes Ohr. Iskaii rümpfte die Nase. Er schnippte das Ohr weg, als hätte es ihn verbrannt und sah zu, wie es über den Boden rollte und schließlich in einer Blutlache zum Liegen kam.
"Ich benötige ein ganzes Meer, um diesen Gestank loszuwerden", knurrte er leise, während ihm der beißende Geruch von Blut und Verwesung in die Nase stieg. Der Gestank kroch ihm in die Sinne, haftete sich an seine Kleidung, an seine Haut und er konnte fast spüren, wie er sich in seine Seele fraß.
In diesem Moment erschütterte ein heftiges Beben die Krypta. Der Boden unter seinen Füßen bebte und krachte, als wäre die Erde selbst dabei, ihn zu verschlingen. Die Wände wölbten sich unter dem Druck und Staub rieselte von der Decke herab, wie der erste Vorbote eines bevorstehenden Sturms.
Iskaii wusste, dass er keine Zeit mehr hatte. Diese verfluchte Gruft war im Begriff, über ihm zusammenzubrechen und ihn in einem steinernen Grab zu begraben, aus dem es kein Entkommen geben würde. Sein Herz hämmerte in seiner Brust und sein Atem ging schneller, während er einen letzten, flüchtigen Blick in den Gang warf, in dem die Fremde verschwunden war. Eine Sekunde lang überlegte er, ihr zu folgen, doch etwas hielt ihn zurück.
Mit einem entschlossenen Ruck wandte er sich ab und begann, sich in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen – hinauf, raus aus dieser verfluchten Krypta.
Er war noch nicht weit gekommen, als sich die Luft um ihn verdichtete. Ein dumpfes Knurren drang aus dem Schatten des dunklen Korridors und kurze Zeit später sah er die ersten Ghule auf sich zustürmen. Panik schien ihre Bewegungen zu beschleunigen.
In einem Reflex, der so schnell war, dass er selbst ihm wie ein verschwommenes Bild vorkam, zog er sein Schwert. Ein kurzes Augenrollen und die Ghule waren schon von den ersten Hieben getroffen. Jeder Schlag präzise und tödlich, die Bewegungen seiner Arme geschmeidig wie die eines Tänzers, und bald klebten die Überreste der Kreaturen nicht nur an Wänden, sondern auch an der Decke und dem Boden, wo Blut und Fleisch zu einer grotesken Collage vereint waren.
Das Beben unter seinen Füßen wurde heftiger, als ob die Erde selbst gegen die Intrusion rebellierte. Trümmer brachen aus den Wänden und die riesigen Brocken fielen wie riesige, tödliche Felsen von einem drohenden Abgrund. Iskaii konnte die Erschütterungen bis in die Knochen spüren.
Er rannte durch den Korridor, wo der Staub in dichten, schmutzigen Schwaden durch die Luft wirbelte und seine Sicht beinahe vollständig nahm. Jedes Einatmen wurde zu einem schmerzhaften Kampf, als die feinen Staubpartikel in seinen Lungen brannten. Steine und Deckenfragmente stürzten rund um ihn herab, und er wich ihnen mit einem Reflex aus, der an purer Instinkt war. Der Boden war übersät mit zerschmetterten Ghuls, deren Körper von den herabfallenden Trümmern wie Mürbeteig zerquetscht worden waren.
In der Ferne, durch den dichten Schleier aus Staub, glaubte er, menschliche Umrisse zu erkennen – eine Gruppe, die sich durch die chaotische Szenerie bewegte.
Plötzlich, übertönt von dem ohrenbetäubenden Lärm des zusammenbrechenden Gebäudes, drang ein Schrei an seine Ohren. Die Worte waren von einer verzweifelten Dringlichkeit durchzogen und kämpften gegen das Tosen der Zerstörung: „Raus jetzt hier!! Das ganze verfluchte Mistding stürzt jede Sekunde ein und wird uns unter sich begraben! Kein Ende, welches ich mir für meinen freien Abend gewünscht habe!"

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Kapitel 17

„Ich wiederhole mich ungern, aber es war wohl die dümmste Idee aller Zeiten, in einer uralten Krypta mit Granaten um sich zu werfen, als wären es verfickte Bonbons. Allein die Statik ..."
Freya blendete Fergus Geschwafel aus und stolperte zurück, als der Boden erneut erzitterte und sie gegen die Steinwand prallte. Sie hatte das Gefühl, dass zwischen ihrer Flucht und der Ankunft in diesem Raum Stunden lagen – doch es waren nur Minuten. Nachdem sie die Aufmerksamkeit der Ghuls auf sich gelenkt hatten, waren sie blind durch die verworrenen Gänge der Krypta gerannt. Sie achteten nicht mehr darauf, wie oft sie abbogen oder wie viel Lärm sie dabei machten, denn sie konnten gegen diese geballte Masse an Monstern nicht gewinnen. Denn auch wenn Freya es nicht gern tat, aber sie musste Jason Recht geben. Sie hatten nicht genug Schusskraft und auch die Handvoll Klingen konnten nicht hunderte von diesen Höllenwesen aufhalten. Und als sie erneut um eine Ecke bogen, breitete sich ein kreisrundes Gewölbe vor ihnen aus. Freya hielt schlagartig inne, was Liam in ihr Kreuz krachen ließ.
„Was zur...?", weiter kam er nicht, denn auch sein Verstand brauchte einen Moment, um das makaber Bild vor seinen Augen zu begreifen. Weitere sieben Durchgänge taten sich in regelmäßigen Abständen auf, dazwischen gestapelte Schädel. Menschliche Schädel. Einige trugen noch blutige Fleischfetzen. Andere schienen schon Jahre hier zu ruhen.
„Das beantwortet wohl die Frage: Wo die Köpfe abgeblieben sind?", raunte Liam und trat neben seine Schwester.
„Hm, sieht ganz danach aus."
Das Fauchen hinter ihnen verstummte schlagartig, dafür drangen aus allen weiteren Durchgängen grollende Geräusche.
„Ich nehme an, diesmal führen nicht alle Wege nach Rom", keuchte Jason, der mit Fergus neben die Zwillinge trat.
„Es wäre ein Wunder, wenn einer davon in diese Richtung führen würde", erwiderte Fergus.
Alle vier sahen sich in dem halbdunklen Gewölbe um. Immer noch waren es nur Fackeln, die etwas Licht spendeten.
„Wir sind gefickt, oder?", fragte Fergus mit verzogenem Mund.
Freya warf ihm einen zustimmenden Blick zu, drehte ihre Klingen durch die Hände und brachte sie schützend vor ihre Brust. „Machen wir das Beste daraus."
Aus den dunklen Gängen hallten kratzende Geräusche, durchzogen von erbärmlichen Fauchen. Jason kontrollierte seine Pistole und drehte sich zu dem Durchgang, welcher zu seiner Rechten lag. Im Augenwinkel sah er, wie Fergus den Kragen seines weißen Hemdes richtete und dann etwas unter seinem Jackett hervorzog. Jason klappte der Mund auf und er vergaß für einen Moment die Gefährlichkeit der Situation. Ungläubig starrte er auf das seilähnliche Gebilde, welches nun in Fergus Hand ruhte. Ein bronzefarbener Schlagring ummantelte seine Finger, daran hing ein aufwendig geflochtenes, schwarzes Seil, zwischen dessen einzelnen Bändern bronzefarbene Spitzen funkelten und an dessen losen Enden eindeutig Rasierklingen hingen.
„Bei den Göttern. Was ist das?", entfuhr es Jason und zog damit Fergus' Aufmerksamkeit auf sich. Dieser drehte sich mit einem breiten Grinsen herum und wirbelte das Seil um sich. Zischende Geräusche, die klangen, als würden sie die Luft zerfetzen, hallten durch das Gewölbe.
„Ein speziell angefertigtes Getback Wip", erklärte dieser, als würde jeder eins dieser Teile am Körper tragen.
Jason schüttelte den Kopf und wackelte mit seiner Waffe. „Das war wohl zu einfach?"
Fergus lachte auf. „Ich mag es ... andersartig."
Jasons Brauen wölbten sich bis zum Haaransatz. „Was du nicht sagst", murrte er und schüttelte fassungslos den Kopf. Wenn er bis eben dachte, die Shields hatten schon nicht alle Schrauben beieinander, wurde er soeben eines Besseren belehrt.

Doch ehe Fergus etwas antworten konnte, blitzten die ersten gelben Augen in dem Durchgang neben ihnen auf und zeitgleich hallte eine weibliche Stimme aus einem weiteren. „Runter!" Und schon zerriss eine Granate die erste Welle Ghuls und zerfetzte sie in tausend blutige Fragmente.
Die Krypta erzitterte, als Samantha eine Handgranate durch die Luft schleuderte. Ein ohrenbetäubender Knall hallte durch die engen Gänge und der Boden unter ihren Füßen bebte. Steinsplitter und Staub regneten von der Decke, während ein Dutzend Ghuls in einem gleißenden Feuerball zu Asche verbrannten. Der Druck der Explosion ließ die Rothaarige kurz taumeln, doch sie fing sich schnell wieder und riss ihre Handfeuerwaffe hoch.
„Verdammt, Sam!", brüllte Dean über den Lärm hinweg und streckte einen Ghul mit einer gezielten Salve in den Kopf nieder. „Versuchst du uns hier zu begraben?"
„Entspann dich, Dean!", schrie Samantha zurück und feuerte weiter auf die heranstürmenden Ghuls. „Wir sind hier raus, bevor dieses verfluchte Ding einstürzt!" Sie feuerte einen weiteren Schuss ab, der einen Ghul direkt zwischen die gelben Augen traf. Die Kreatur taumelte zurück und riss zwei seiner Artgenossen mit sich.
Dandelia kämpfte inmitten des Chaos, ihr Schwert ein tödlicher Wirbel aus Stahl und Blut. Mit jedem Hieb durchtrennte sie Knochen und Sehnen, und die Ghuls stürzten kreischend zu Boden. Ihre Bewegungen waren fließend und präzise, als würde sie einen grausamen Tanz aufführen.
„Iskaii ist noch irgendwo da unten!"
Ein Ghul stürzte sich auf sie. Seine Krallen schrammten über die Steinplatten, Funken sprühten auf. Dandelia duckte sich im letzten Moment, drehte sich blitzschnell und rammte dem Ungeheuer ihr Schwert in den Bauch. Mit einem Knurren zog sie die Klinge wieder heraus und trat dem Monster gegen die Brust, sodass es rücklings in die heranströmende Horde stürzte.
"Du sagtest, er kommt zurecht", bemerkte Dean, zog eine Granate von seinem Rucksack, riss den Splint heraus und schleuderte sie in die Tiefe des Ganges. „Deckung!", rief er und warf sich hinter eine umgestürzte Steinsäule warf. Samantha und Dandelia folgten seinem Beispiel, und auch die Gruppe um Freya, die weiter hinter ihnen stand, suchte Schutz - kaum einen Augenblick, bevor die Granate explodierte. Die Druckwelle ließ die Krypta erneut erbeben und ein Teil der Decke stürzte krachend ein. Steine und Schutt fielen herab und begruben eine ganze Gruppe von Ghuls unter sich. Wer nicht sofort zerquetscht wurde, stöhnte und schleppte sich mit gebrochenen Gliedern durch den Dreck.
"Verdammt, Iskaii ist da unten!", rief Dandelia erneut und erhob sich aus ihrer Deckung. "Er kommt mit den Ghuls zurecht, nicht damit, dass er unter den Steinplatten einer alten Krypta verschüttet wird." 

„Wir haben keine Wahl, Dandelia", rief Samantha und sprang ebenfalls auf. „Entweder sterben wir, oder wir riskieren seinen Tod!" Sie schoss auf einen Ghul, der sich noch regte, und schüttelte den Kopf. „Wie viele von denen gibt es hier eigentlich?"
„Offensichtlich mehr als genug", knurrte Dean.

„Wir wissen nicht, welche Auswirkungen es auf meine Welt hat, wenn Iskaii in dieser hier stirbt", warf Dandelia ein.
Ein neuer Schwarm Ghuls strömte aus einem Seitengang. Ihre Augen glühten im Zwielicht und ihre Zähne blitzten, als sie sich knurrend auf die Kämpfer stürzten.
"Sorry, Schätzchen", sagte Samantha, und obwohl ihre Stimme kalt klang, lag Mitgefühl in ihren grünen Augen. "Wir werden das Risiko tragen müssen. Sechs Leben ..." Sie warf einen Blick über die Schulter und erspähte einen Fremden, der inmitten von Freyas Gruppe stand. "Sieben Leben", korrigierte sie, "gegen eines. Es tut mir ehrlich leid um deinen seltsamen Freund, aber ich bin sicher, er würde es verstehen."
Samantha wandte ihren Blick von Dandelia zur bröckelnden Decke und dann zu Dean. „Wie viele Granaten haben wir noch?"
„Zwei", antwortete er, und seine braunen Augen huschten zu der Kriegerin, in deren eisblauen Augen Tränen glitzerten. Er war nicht gefühlskalt, aber in diesem Moment gewann der Cop in ihm die Oberhand und das Wissen, dass es keinen anderen Ausweg gab.
„Lass uns das hier beenden", raunte er und zog eine der beiden letzten Granaten.
Er zog den Splint, hielt die Granate einen Moment in der Hand und warf sie dann in die Richtung, aus der die Ghuls kamen. Die Explosion zerriss die Stille und die Decke über ihnen brach endgültig ein. Mit einem letzten, ohrenbetäubenden Krachen stürzten Tonnen von Steinen herab und begruben die verbliebenen Ghuls unter sich.
Die Luft war erfüllt von Staub und dem Gestank von Tod und Verwesung. Samantha und Dean standen keuchend zwischen den Trümmern, die Waffen noch in den Händen. Es herrschte eine unheimliche Stille, in der das leise Weinen von Dandelia übermäßig laut klang.
„Ich glaube, das war's", wisperte Samantha und ließ ihre Waffe sinken.
Dean sah sich um, schob die Pistole in sein Waffenholster, wischte sich den Schweiß von der Stirn und ging auf die Kriegerin mit den hellen Haaren zu. Fest zog er sie in eine tröstende Umarmung, in der sich Blut, Sekrete und anderer Unrat, der an ihnen haftete, vermischte.
"Es tut mir aufrichtig Leid, Dandelia."
Sie schluchzte und verlor sich für einen Atemzug in der Wärme des Mannes, der ihr eigentlich Fremd war. Dann löste sie sich, wischte sich mit dem schmutzigen Handrücken die Tränen von der Wange und straffte die Schultern.
"Lasst uns endlich von hier verschwinden."

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Kapitel 18

Freyas Atemzüge gingen schwer. Ihre blonden Haare waren verklebt mit schwarzem Blut, welches sich den Weg über ihr Gesicht suchte. Schulter an Schulter stand sie mit ihrem Bruder in einem der Gänge und blickte über das Geröll und die zerschmetterten Überreste der Ghuls.
„Fuck", entfuhr es Liam, der seine Waffen immer noch umklammerte, obwohl deren Magazine leer waren.
Fergus' weißes Hemd war zu einem rot-schwarzem Lappen mutiert, sein Jackett an den Schulterpolstern zerfetzt. Ungläubig sah er sich um. „Erinnert mich daran, dass ich diesen Gruppenchat verlasse", murmelte er, verzog angewidert das Gesicht und schüttelte seine Hand, um die daran klebenden Hautfetzen eines Ghuls loszuwerden.
„Wir müssen dringend was gegen Schildmaid unternehmen, das kann so nicht weitergehen", knurrte Jason, der seine Waffe wieder in das Holster steckte und einen flüchtigen Blick zu Dandelia warf. In ihrem Gesicht lag nichts als abgrundtiefe Trauer und auch wenn Jason kaum Berührungspunkte mit Iskaii gehabt hatte, vernahm er ebenfalls einen sanften Stich des Schmerzes in der Brust.
Freya hielt ihre Klingen immer noch schützend vor ihrer Brust. Sie traute der anhaltenden Stille nicht und nachdem der staubige Nebel sich gelegt hatte, fokussierte sie ihre Umgebung. Plötzlich spannte sie sich an. Ein Schauer schlich ihr wie eine kalte Hand übers Rückgrat. „Spürt ihr das?", fragte sie flüsternd und suchte dabei den Blick ihres Bruders.
Ein Vibrieren schwang durch die Steinmauern. Erst sanft und kaum wahrnehmbar. Doch mit jedem Atemzug nahm es an Intensität zu. Die Gruppen wechselten unsichere Blicke aus, als aus dem Vibrieren ein Beben wurde, welches eine eisige Kälte in die Gänge trieb. Panik ergriff die Shieldzwillinge, als die Erkenntnis sie traf.
„RAUS!", brüllte Liam fordernd und im selben Moment sprintete er los. Sein Ton ließ keinen Raum für weitere Fragen. Beide Gruppen setzten sich in Bewegung und rasten durch den dunklen Gang, der stetig anstieg.
Freyas Puls tobte. Angst schoss durch ihre Venen, doch es war nicht die Angst vor der einstürzenden Krypta und auch nicht das Entsetzen, dass ihre Schöpfer all dies zuließen. Es war einzig das Wissen darum, dass sich etwas viel Gefährlicheres als beschissene Ghuls in diesen Mauern befand.
Die Lungen der Flüchtenden brannten, doch keiner von ihnen dachte auch nur daran, innezuhalten. Die nackte Angst trieb sie zu Höchstleistungen, auch wenn die Grollen mit jedem Schritt, den sie der Oberfläche näherkamen, lauter wurde. Fergus war der Erste, der den Vorraum der Krypta erreichte, er rutschte über den nassen Steinboden ins Freie der Nacht und stoppte schlagartig.
Der Wind peitschte über den Friedhof, riss an den Ästen der Bäume und ließ diese aufschreien. Das Himmelszelt war von dunklen Wolken verhangen, die in einem unnatürlichen Lila schimmerten. Weiß glühende Blitze erstreckten sich durch die Wolkendecke und hinterließen ein leises Surren, bevor ein dumpfes Dröhnen folgte. Der Donner war so intensiv, dass er bis in sein Mark drang. Der Sturm brodelte über das Gelände und prasselnder Regen schlug unbarmherzig auf den kalten Boden ein. Tote Blätter wirbelten wie Geschosse durch die Luft und schienen Vorboten einer Apokalypse zu sein.

 Das kalte Wasser des Regens drang unerbittlich durch den dünnen Stoff seines Hemdes, während er ehrfürchtig den Blick in den Himmel hob. „Was ist das?", wisperte er, doch schon packte ihn eine Hand und zerrte ihn mit.
„Richtig beschissene Scheiße", grollte Freya, die nicht innegehalten hatte und Fergus unachtsam mitschliff.
„WIR MÜSSEN HINTER DIE MAUER. SUCHT DORT SCHUTZ!", schrie Freya gegen den tosenden Lärm des Sturm an. Die Regentropfen trieben sich schmerzhaft gegen ihre Haut und fühlten sich an wie tausend Nadelspitzen, die ihr Fleisch aufspießten. Die Feuchtigkeit drang durch ihre Kleider und setzte sich schwer in diesen fest.
Sie spürte die fragenden Blicke in ihrem Nacken, doch es gab keine Zeit für Erklärungen. Jetzt ging es wirklich ums nackte Überleben.

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Kurz zuvor:

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Iskaiis Herz raste, als sich seine Pupillen für den Bruchteil einer Sekunde weiteten. Er versuchte, die Bedeutung der geschrienen Worte zu erfassen, die wie verzerrte Echos durch die stickige Luft der Krypta hallten. Der drohende Tonfall der Stimmen ließ keinen Zweifel zu: Ihr aller Leben hing an einem seidenen Faden.
Das Entsetzen, das in ihm aufstieg, war wie eine kalte Hand, die sich um sein Herz schloss. Mit dem nächsten Schritt begannen die Umrisse der Gestalten vor ihm zu verschwimmen, als hätte die Dunkelheit, die die Krypta durchdrang, plötzlich Gestalt angenommen und sich wie ein dichter Schleier zwischen ihn und die Gruppe gelegt.
Plötzlich durchzuckte ein markerschütterndes Beben den Boden unter seinen Füßen. Es war, als ob die alten Steine, die diese heilige Stätte seit Jahrhunderten getragen hatten, sich unter der Last der Zeit und der Dunkelheit, die in ihnen lauerte, nun endgültig ergaben. Der donnernde Klang von brechendem Gestein erfüllte den Raum, widerhallend zwischen den hohen Wänden und den verborgenen Gewölben. Iskaiis Ohren schmerzten von dem dröhnenden Lärm, der ihn umfing.
Hektisch setzte er sich in Bewegung, während er den fallenden Gesteinsbrocken auszuweichen versuchte, die um ihn herum herabstürzten wie ein tödlicher Regen. Jeder Herzschlag pochte in seinen Ohren, jeder Atemzug war ein keuchendes Ringen. Dann ertönte ein tiefes, bedrohliches Grollen direkt über ihm, so laut, dass es die Luft erzittern ließ. Es war ein Klang, der alles andere übertönte und sein Blut in den Adern gefrieren ließ. Reflexartig riss er die Arme hoch, versuchte sich zu schützen, als er den Blick nach oben hob. Was er sah, ließ die Zeit stillstehen: Eine massive Steinplatte, so groß wie die Decke selbst, löste sich von oben und stürzte mit verheerender Geschwindigkeit auf ihn zu. 

Sekunden dehnten sich zu einer Ewigkeit, während die Schwerkraft ihr unbarmherziges Urteil fällte. Der Anblick dieser unaufhaltsamen Gewalt, die in ihrem Fall alles unter sich begraben würde, ließ jeden anderen Gedanken in ihm verstummen.
Eine bittere Kälte erfasste seine Füße, hielt ihn an Ort und Stelle gefesselt und brachte ihm das Wissen über seinen kommenden Tod, doch plötzlich... verlangsamte sich die Fallbewegung. Kleine Steinfragmente wirbelten um ihre eigene Achse und schwebten in der Luft. Im sanften Schein der letzten Fackel, die noch brannte, sah er etwas Grünes schimmern.
„War wohl die falsche Richtung, die du eingeschlagen hast", dröhnte die raue, emotionslose Stimme von Skàdi durch den beinahe zerstörten Gang. Iskaii blickte in ihre Richtung, immer noch bewegungsunfähig. Schwarze Nebelschwarten umgaben sie und krochen wie hungrige Schlagen über den Boden. Ihre Augen wieder erfüllt mit sichelförmigen Iriden. Um ihre Hände tanzten blau-weiße Lichtpunkte. Dicht an ihr Bein gepresst, folgte der tollwütige Narcos, in dessen gesamten Antlitz sich Wahnsinn spiegelte. Skàdi trat dicht an den Krieger heran und die schwarzen Schatten legten sich langsam um seinen Leib, umschlungen ihn und bildeten eine Art Schutzwall, in dem er nun mit der Grünhaarigen und dem tosenden Hund gefangen stand. Ihre Hände zitterten leicht und ihre Lippen waren zu einer dünnen Linie gepresst.
„Versuch nicht zu flüchten", grollte sie und zeitgleich verließ dem Krieger das Gefühl der Gefangenschaft.
Irritiert starrte er auf die aufsteigenden Lichtpunkte, die anschwollen und sich in einem wilden Tanz durch die schwarzen Schatten begaben. Ein kaltes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, während sie den Kopf leicht neigte und den Krieger ansah. „Sie haben mich gerufen, um ihre Ärsche zu retten, und als Dank lassen sie mich hier zurück. Dafür werden sie bezahlen", und kaum, dass diese Worte gesprochen waren, spürte der Krieger, wie sich die Energie um sie begann, zusammenzuziehen.

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Kapitel 19

Noch nie in seinem Leben hatte er solche Empfindungen wahrgenommen. Sein ganzer Körper kribbelte, als ob tausend unsichtbare Insekten unter seiner Haut krochen. Alles in ihm schrie, dass etwas Dunkles sich um ihn zusammenzog. Die Luft war schwer und dick, fast als ob sie aus flüssigem Gift bestünde.
Alles in ihm schrie. Warnte ihn vor etwas Unheilvollem. Etwas so Mächtigem, dass nicht einmal er es töten konnte.
Und dennoch, obgleich er nichts als Finsternis in dieser Fremden erkannte, half sie ihm. Sie war so plötzlich erschienen, als wäre sie aus den Schatten selbst geboren worden. Ihre Augen fixierten ihn, durchdrangen ihn. Verwirrten ihn. Wie konnte ihn jemand retten, der so offensichtlich von Dunkelheit durchdrungen war? Er gewahrte ihren Herzschlag, langsamer als seiner, ruhig, kontrolliert, in einem unverständlichen Rhythmus, der sich wie eine Melodie in seine Gedanken brannte.
Was auch immer sie für eine Macht einsetzte, es hielt die Trümmerteile der Krypta davon ab, auf ihn hinabzustürzen und ihn unter sich zu begraben. Die massiven Steine, die sich von den Wänden und der Decke lösten, hingen wie von unsichtbaren Händen gehalten in der Luft. Der Staub tanzte, schwebte in merkwürdigen Mustern um sie herum, als folge er einem unsichtbaren Lied. Der Boden unter ihnen vibrierte, ein dumpfes Grollen, das wie ein fernes Donnern klang. Es war, als würde sich die Zeit selbst verlangsamen, eingefroren in diesem Moment, von einer Kraft, die jenseits ihres Verständnisses lag. Tatsächlich schien der Stein um sie herum zu pulsieren, sich zu verdichten. Er sah, wie sich Risse in den Wänden bildeten, dunkle Linien, die sich wie die Adern eines Blattes ausbreiteten - langsam, aber unerbittlich. Das leise Knacken und Knirschen der unter Druck stehenden Steine klang in seinen Ohren wie das Wispern von Geistern.
"Was seid Ihr?", wisperte Iskaii, unfähig, seinen Blick von ihren Augen zu lösen. Er wusste nicht, ob es Furcht war oder Ehrfurcht, die diese seltsame Frau in ihm weckte.
Sie schwieg. Ihr Körper pulsierte im Einklang mit den vibrierenden Wänden der Krypta. Und mit jedem Atemzug wurden die Schatten tiefer, die Kälte intensiver. Die Härchen in Iskaiis Nacken stellten sich auf.
Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Um sie herum explodierte die Gruft in einem Chaos aus Lärm und Zerstörung. Ihre Wände zerbarsten wie Glas. Trümmer wurden mit brutaler Gewalt in alle Richtungen geschleudert, als wären sie von einer unsichtbaren Hand fortgerissen worden. Doch nicht ein Hauch der Explosion streifte Iskaiis Haut.

Und mit einem Mal standen sie im Freien, als hätten sie die unterirdische Welt durch einen Schleier verlassen. Über ihnen spannte sich ein Himmel von unnatürlicher Farbe, durchzogen von hellen Blitzen, die den Friedhof in ein gespenstisches Licht tauchten. Der Wind heulte wie ein vor Schmerz wimmerndes Lebewesen und ließ die alten Bäume erzittern. Iskaii rang nach Atem, sein Herz hämmerte in seiner Brust wie ein gefangenes Tier. Er sah sich um. Die Krypta war nur noch ein rauchender Trümmerhaufen. Die Einzelteile flogen noch immer durch die Luft, schwere Steinbrocken, die in einem willkürlichen Tanz vom Wind getragen wurden. Einige schlugen in die Grabsteine ein, zertrümmerten das alte Gestein und ließen es wie fauliges Holz zersplittern. Andere krachten gegen die mächtige Friedhofsmauer, die unter dem Aufprall ächzte und erbebte, als wollte sie jeden Moment zusammenbrechen.
Seine grünen Augen wanderten zurück zu der kleinen Frau vor ihm. Sie stand ruhig da, unbeeindruckt von der Zerstörung, die um sie herum wütete. Ihr Körper pulsierte noch immer, nun im Einklang mit den Blitzen am Himmel, als hätte sie die Dunkelheit selbst entfesselt. Sie hob den Kopf und ihr Blick traf den seinen - fest und unverrückbar.

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"Was ist das für eine verfluchte Scheiße?!" Samantha schrie gegen den heulenden Wind an, der ihre Worte mit sich riss, als wollte er sie verschlucken. Sie kauerte hinter der alten Friedhofsmauer, die unter dem Aufprall der umherfliegenden Gesteinsbrocken erzitterte. Risse zogen sich wie Spinnweben über das Mauerwerk und drohten, die schützende Barriere zum Einsturz zu bringen.
Dean saß dicht hinter ihr, seinen breiten, muskulösen Körper schützend an ihren Rücken gepresst. Sein Atem ging stoßweise, Schweiß glänzte auf seiner Stirn, obwohl die Nachtluft eiskalt war. Herabrieselnde Steine und abgebrochene Äste prasselten auf ihn nieder, aber er rührte sich nicht. Sein Verstand war ein Wirbel aus Verwirrung und Entsetzen, während er versuchte, das Geschehene zu begreifen. Was zur Hölle war los? Was konnte eine derartige Explosion verursachen, dass die alte Krypta zerbarst, als wäre sie aus Papier?

"Hat dein Freund das ausgelöst?", fragte er an Dandelia gewandt. Seine Stimme klang brüchig, fast verloren im Chaos. Die Kriegerin saß ebenfalls hinter der Mauer, ihre Augen weit aufgerissen vor Angst. Sie hatte die Arme über dem Kopf zusammengeschlagen, als wollte sie sich vor einem unsichtbaren Feind schützen. Ihr Gesicht war ein Bild des Grauens, Tränen hatten schmutzige Spuren auf ihren Wangen hinterlassen, vermischt mit dem Blut und den Überresten der Ghule.Sie schüttelte den Kopf, ihre Lippen zitterten.
"Iskaii besitzt eine solche Macht nicht", flüsterte sie heiser, kaum lauter als der Wind. "Womöglich haben Eure seltsamen Kugeln nicht nur ein Leben auf dem Gewissen, sondern auch etwas Uraltes erweckt."
"Bullshit!" Samantha stieß das Wort wie ein Geschoss hervor. Ihre Augen funkelten vor Zorn und Panik, als sie sich zu der Gruppe wandte, die aus der Feder der anderen, ebenso irren Autorin stammte. Sie hatten noch nicht lange miteinander zu tun, aber in dieser finsteren Stunde waren sie Verbündete geworden. "Freya!", rief sie und ihre Stimme war nun voller Anklage. "Was hat diese Scheiße ausgelöst?"

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Kapitel 20

Freya nahm einen tiefen Luftzug und hustete auf, als die kleinen Staubkörnchen in ihrem Rachen kratzten. Mit einem Seufzen rutschte Liam, der sich schützend über Freyas am Boden liegenden Körper gelegt hatte, von ihr und drehte sich auf den Rücken. Er schloss die Augen, rieb sich übers Gesicht und lachte. „Das darf alles nicht wahr sein."
Jason, der neben den Zwillingen lag, stützte sich auf den Ellenbogen ab und starrte ungläubig an die Mauer. „Sie hat wirklich gehalten." Leichtigkeit überrollte seinen angespannten Leib, doch der prasselnde Regen und das laute Tosen des Himmels vertrieben diese schneller, als sie gekommen war.
Langsam richtete sich Freya auf, verlagerte ihr Gewicht auf die Knie und sah durch die Runde. Keine Verletzten. Zumindest noch nicht. Den brennenden Blick von Samantha ignorierte sie noch für wenige Augenblicke. Erst nachdem sie sich aufgerichtet und einige lose Äste aus ihren Haaren gefischt hatte, drehte sie sich zu der Gruppe. Allen sah man die vergangenen Stunden an. Sie waren abgekämpft und müde. Dreckig und nach ihrem Äußeren zu urteilen, hatten alle eine heiße Dusche und einen verdammten Whiskey nötig. Wie sollte sie ihnen jetzt erklären, dass das Schlimmste noch vor ihnen lag?
Besorgt blickte sie zum Himmel, der immer noch von gleißenden Blitzen durchzogen wurde und dessen Farbe mittlerweile lila zu glühen schien.
„Meinst du, wir schaffen das ohne ihn?", fragte Liam, der sich gerade aufstand und sich die Klamotten ausklopfte. Schutt und kleine Steinreste fielen von dem Stoff, doch dessen Aufschlagen wurde von dem Rauschen der Blätter und dem Plätschern des Regens übertönt.
„Nein. Aber da wir uns nicht auf seine Hilfe verlassen können, ist Angriff wohl die beste Verteidigung", erwiderte Freya und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Samantha. „Diese Scheiße haben wir Skàdi zu verdanken, und wenn ich mir den Himmel so ansehe, ist sie angepisst. Und mit angepisst meine ich: sie will unseren Tod."
„Was auch sonst", säuselte Jason, ließ sich wieder auf den nassen Boden gleiten und breitete die Arme aus. „Wenn es euch nichts ausmacht, bleibe ich dann einfach hier liegen und warte auf mein Ende."
„Keine Hoffnung, dass Noraja dir zur Rettung eilt?", fragte Fergus lachend. Jason erhob den Mittelfinger und schloss die Augen.
Erschrocken fuhr Freya herum und sah Fergus irritiert an.
„Was?", fragte dieser und strich sich durch sein immer noch perfekt liegendes Haar.
„Hast du etwa die letzten fünf Minuten geschwiegen?"
Er zuckte mit den Schultern. „Es ist nicht so, dass ich es nicht kann. Ich tue es nur nicht sonderlich gern."

 Ein Anflug von schlechtem Gewissen erfüllte Freya, welches sie sofort wieder abschüttelte. Auch dafür war jetzt noch nicht die Zeit. Stattdessen nickte sie und fragte: „Kannst du das noch ein paar Minuten beibehalten und am besten bei Jason bleiben. Ich fürchte, du wärst der Erste, den sie tötet."
Zu ihrer Überraschung stimmte er zu und setzte sich schweigend neben Jason. Ihr Blick wanderte zurück zu Dean, Antry und Dandelia. „Ich kann es euch nicht verbieten, aber ihr solltet ebenfalls hier bleiben. Es ist keine Garantie für euer Überleben, aber zumindest eine Chance."
Sie wartete nicht erst auf die Antwort, denn die kannte sie bereits. Fergus und Jason würden mit aller Wahrscheinlichkeit den Teufel tun und diesen Friedhof abermals betreten. Jens Schöpfungen überlegten wahrscheinlich schon, wie sie am schnellsten über die Mauer kamen.
Liam trat neben seine Schwester und nach einem kurzen Moment der Stille schwangen sie sich auf die Mauer und hockten auf deren Kante.
„Ich habe keine Ahnung, wie wir das Jen und Schildmaid erklären sollen", raunte Liam und erfasste das Trümmerfeld, welches sich vor ihnen offenbarte.
Ausgewurzelte Bäume lagen auf dem Boden und hatten alles, was ihnen beim Fall im Weg war, unter sich begraben. Grabsteine waren zerborsten und auseinandergerissen worden. Unzählige Blumen lagen an den Rändern der Friedhofsmauer und dort, wo einst die Krypta stand, war nichts geblieben, außer zwei der ehemaligen Stufen zu deren Eingang. Die Leichenteile und Überreste der Ghuls, die wie Fetzen quer über das Gelände verteilt waren, ignorierte er.
„Wir erklären gar nichts. Die beiden können froh sein, wenn sie zum Morgengrauen noch leben." Freya schwang sich von der Mauer und bahnte sich einen Weg durch die Gesteinsbrocken, die auf dem Weg zu der Krypta tief in den Boden gerammt lagen.
Der Sturm über ihnen wurde immer intensiver, auch wenn er sich noch außerhalb ihrer Reichweite befand. Er wühlte den Himmel auf, ließ den Regen in unnatürlichen Winkeln fallen und schickte jaulende Geräusche durch die Ruinen des Friedhofs.
Freya war selten nervös oder verspürte so etwas wie Angst, doch das Rauschen in ihren Ohren und ihre pulsierende Halsschlagader signalisierten genau das. Und doch ging sie unbeirrt und mit festem Schritt weiter auf die Überreste der Krypta zu, und als sie nah genug herangekommen war, erspähte sie zwei Schemen.
Sie standen eng voreinander, mitten zwischen dem Schutt und Geröll. Schwarzer Nebel schlängelte sich um ihre Leiber und schien die Umwelt und Zerstörung von ihnen fernzuhalten.
Freya holte tief Luft und hob resignierend die Hände über den Kopf. „Zu unserer Verteidigung. Wir wussten nicht, dass du ebenfalls in dieser Kammer der Kuriositäten warst, und – um ehrlich zu sein – dein Arsch war dabei niemals wirklich in Gefahr."
Skàdi vernahm Freyas wertlose Worte, doch ihr Blick ruhte immer noch fest auf Iskaii. Er zeigte immer noch keine Angst. Was sie tatsächlich neugierig machte. Sie wusste, dass er nicht aus ihrer Welt stammte und scheinbar damit vertraut war, um sein Leben zu kämpfen. Und doch nagte es etwas an ihrem Ego. Jeder fürchtete sie irgendwann. Sie konnte selbst durch den Sturm Freyas Angst riechen und er? Starrte sie an und wollte wissen, wer sie war. Komischer Kauz.
Sie unterbrach den Blick zu ihm und ließ diesen zu ihren Händen gleiten. Noch immer tanzten blau-weiße Lichtpunkte darum und mit jedem Blitz, der über den Himmel zuckte, spürte sie, wie sich die Energie um sie auflud. Sie kribbelte über ihre eisige Haut und füllte die tiefe Leere in ihrer Seele aus. Sie genoss diesen Moment, der einfach nur ihr gehörte.
Was würde sie wohl jetzt gerade empfinden, wenn sie dazu in der Lage wäre? Erneut sah sie zu dem Krieger, der offensichtlich nicht wusste, was er tun oder lassen sollte. Ein kaltes Lächeln zuckte über ihre Lippen. Ein Reflex, der ihr erhalten geblieben war. So wie alles, was sie noch menschlich wirken ließ.
„Ich bin das Ergebnis einer Menschheit, die sich nicht mit dem zufrieden geben konnte, was sie hatte. Ich bin ...", sie stockte, als ein lautes Grollen ihre Worte übertönte und sprach erst weiter, als es abgeklungen war „ ... ich bin oder war ein Mensch. Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht genau. Und es ist mir auch vollkommen egal. Ich bin das, was die Menschheit verdient. Deren Ende, wenn man es so will. Und um deine ausgesprochene Frage zu beantworten: Skàdi."

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Kapitel 21

Iskaii lauschte den Worten, während er die Bedeutung der Worte tief in sich aufnahm. Sein Gesicht war eine undurchdringliche Maske und schließlich nickte er bedächtig.
"Hoch erfreut", raunte er, seine Stimme rau wie zerbröckelnder Stein. Mit einer knappen Geste deutete er eine Verbeugung an, die trotz seines zerrissenen und von Blut durchtränkten Hemdes, sowie den Überresten der Ghule, die an ihm klebten, nichts von ihrer ursprünglichen Eleganz verloren hatte. "Mir schwant, all dies, was Ihr seid und was Eure Macht bewirken kann, hat diese Welt verdient."
Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie Freya bei seinen Worten zusammenzuckte. Sie, die sonst so furchtlos und unnachgiebig war, zeigte plötzlich Furcht. Ein flüchtiges Zucken seiner Lippen, kaum mehr als ein Hauch von Belustigung, entging jedem, nur nicht Skàdi.
Ein Teil von ihm sehnte sich danach, diese verstörende Welt, die ihm nichts bedeutete, in Flammen aufgehen zu sehen. Er wollte die Schreie hören, das Chaos entfesseln, das aus Asche und Blut geboren wird. Doch tief in ihm regte sich ein Widerwille, ein letztes Zögern, das ihn daran erinnerte, dass es in dieser Welt Menschen gab, deren Schicksal untrennbar mit dem der anderen Welten verbunden war – und damit auch mit seinem eigenen.
So sehr ihn diese Welt auch anekelte, so sehr sie ihm wie ein überflüssiger Albtraum erschien, den es auszulöschen galt, so wusste er doch, dass ihr Ende Konsequenzen hätte, die selbst er nicht vollständig überblicken konnte. Und während er auf das Chaos um ihn herum starrte, erkannte er, dass er noch nicht bereit war, den letzten Schritt zu gehen, noch nicht bereit war, sich dem ewigen Schlaf zu ergeben. Es war nicht die Gnade, die ihn zögern ließ, sondern ein tiefes, uraltes Verlangen nach Überleben.
"Dennoch, würdet Ihr mit der Auslöschung dieser Welt auch das Ende unserer Schöpfer heraufbeschwören. Obgleich mir der Gedanke an ihren Tod ein Lächeln entlockt, bleibt die bedrückende Vermutung, dass deren Untergang auch unser Ende bedeutet." Seine Stimme verlor sich in einem Moment des Schweigens, während er ihr tief in die Augen sah - es war, als blickte er in einen Abgrund, dessen Tiefe unermesslich war.
Eine Erkenntnis traf ihn wie ein Dolchstoß ins Herz: Sie empfand keine Emotionen. Kein Mitgefühl, keine Furcht, keine Freude.
"Ich danke Euch für meine Rettung. Doch scheint es mir, dass diese sinnlos war, wenn Ihr jetzt entscheidet, die Welt zu vernichten." Ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen, während seine Augen weiterhin mit ihren verwoben waren.
In diesem Moment gewahrte er eine Bewegung am Rande seines Blickfeldes. Ein heller Schopf, der kurz aufblitzte. Seine Augen wanderten zu einem faustgroßen Loch in der Mauer. Dort, kaum sichtbar im Halbdunkel, erblickte er Dandelia. Ihr Gesicht war ein Trümmerfeld aus Blut, Sekret und Dreck, ihre eisblauen Augen weit aufgerissen vor Unglauben und Angst. Sie starrte zu ihnen herüber, ihre Wangen glitzerten feucht von Tränen.
Ein Stich durchfuhr sein Herz, als er die Emotionen in ihrem Blick erkannte. Es war, als ob ihre Tränen die Kälte in seinem eigenen Inneren spiegelten, die Leere, die er in den Augen Skàdis sah. Weinte Dandelia seinetwegen?


„Er lebt", keuchte Dandelia, ihre Stimme kaum mehr als ein gehauchtes Flüstern, während sie von Samantha zurück in den Schutz hinter der bröckelnden Mauer gezogen wurde. Die kühlen Steine drückten sich hart und unerbittlich gegen ihren Rücken, als ob sie ihnen irgendeine Form von Sicherheit bieten könnten. Doch diese Wand, gezeichnet von Rissen und Einschlägen, würde kaum mehr als eine Sekunde standhalten, wenn die Irre es darauf anlegte, sie zu zerstören.
„Noch", zischte die Rothaarige und richtete ihren Blick auf Dean. Es war, als wollte sie sein Gesicht ein letztes Mal in sich aufnehmen, jede Linie, jede Narbe, bevor das Unvermeidliche eintraf und der Tod seine kalten Finger nach ihnen ausstreckte. „Sie sieht nicht so aus, als fassen wir uns gleich alle bei den Händen und singen Kumbaya."
Ein bitteres Lächeln verzog Deans Lippen, als er ihre Worte hörte. Sein Humor war wie immer seine letzte Verteidigungslinie, das letzte bisschen Normalität in einer Welt, die längst den Verstand verloren hatte.
„Die Vorstellung macht mir mehr Angst, als die, von einem Steinbrocken zermatscht zu werden", spottete er und fuhr sich mit der Hand durch sein Haar. Es war verklebt, eine Mischung aus Blut, Staub, Schweiß und was auch immer die letzten Stunden über sie hinweggefegt war. Ein Chaos, das den Zustand in seinem Inneren nur zu gut widerspiegelte.
„Ich habe noch zwei Kugeln übrig und bin, wie du weißt, ein perfekter Schütze. Ich könnte ..." Doch bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, bemerkte er das stumme Kopfschütteln von Liam, Fergus und Jason. Es war ein leises, unaufdringliches Zeichen, aber es sprach Bände.

„Scheint eine dämliche Idee zu sein, Dean", sagte Samantha mit einem Hauch von Sarkasmus, der in dieser Situation ebenso fehl am Platz war wie die ganze Misere, in die sie geraten waren. Aber es war ihre Art, mit der Angst umzugehen, die wie ein kalter, eiserner Griff ihre Herzen umschloss. „Warten wir also ab, ob Freya die Gestörte in den Griff bekommt oder ob wir in zwei Minuten alle nur noch Leichen sind."
Ein langer, mühsamer Seufzer entkam Deans trockener Kehle, ein Geräusch, das sowohl Erschöpfung als auch die vergebliche Hoffnung ausdrückte, dass das alles irgendwie gut ausgehen könnte.
„Ich werde nie wieder für diese vollkommen beschränkte Autorin von der Couch aufstehen", murmelte er, halb im Scherz, halb im bitteren Ernst.

 

Iskaiis Worte waren wohl das Sinnvollste, was Skàdi in der letzten Zeit vernommen hatte. Er schien ein denkendes Individuum zu sein, doch als sie seinem Blick folgte, rollte sie die Augen und die Bindung zwischen ihnen brach.
„Liebe", sie spuckte das Wort förmlich aus. „Alle Macht der Welt ist nichts, sobald dieses banale Gefühl auftaucht und die klügsten Köpfe zu Schwachmaten werden lässt. Sie hat dich zurückgelassen und doch empfindest du keinen Groll. Wahrscheinlich wisst ihr noch nicht mal um eure Gefühle füreinander." Ihre Stimme war leise und trotz deren Schwere lag kein Urteil darin. Es war eine einfache Feststellung und doch runzelte der Krieger die Stirn.
Sie blickte derweilen zu Narcos, der zwar angespannt war, aber nicht mehr tosend die Zähne fletschte. „Liebe ist und war auch mein Verderben, hoffentlich bleibt es dir erspart."
Sie ließ ihm keine Zeit für eine angemessene Reaktion, sondern riss schlagartig ihre Hände nach oben und die weißen Blitze brachen aus der Wolkendecke hervor. Im Takt ihrer Fingerbewegungen schlugen sie mit einigen Metern Abstand um sie herum in den Boden ein.
„Geh. Dein Arsch ist sicher, zumindest vor mir", sie sah zu Dandelia, „und ihrer auch."
Sie sah den fragenden Blick Iskaiis, wendete sich jedoch einfach ab und fixierte Freya mit einem breiten Lächeln.
Diese zuckte bei den ersten Blitzen, die immer näher in ihre Richtung wanderten, zusammen. Sie war geliefert und doch senkte sie die Arme, hob das Kinn und stütze ihre Hände in die Hüfte. Wenn sie sterben würde, dann wie ein Greenblood.
„Na dann los. Streck mich nieder und beende diese Scheiße. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Im Gegensatz zu Alice kann ich keine Wahrscheinlichkeiten berechnen und somit die Zukunft vorhersagen. Du hättest ja nur Bescheid geben müssen, dass du deinen Arsch tatsächlich für unsere Rettung erhoben hast. Und überhaupt... Was ist dein Problem? Wir standen dem Tod heute hundertmal gegenüber. Für dich hingegen ist das doch alles nur ein großes Spiel."
Freya hielt kurz inne. Der Sturm um sie nahm zu. Senkte sich langsam und tobte nur noch wenige Meter über ihrem Kopf. Sie fixierte Skàdi, deren schwarze Schatten um sie tanzten und sich immer weiter ausbreiteten. Angepisst war also gar kein Ausdruck mehr, aber mehr als Provokation blieb ihr nicht. Vielleicht würde dann nur ihr Leben verwelken. Sie schloss kurz die Augen und holte tief Luft.
„Wenn ich heute sterbe, dann mit einem reinen Gewissen. Das ändert aber nichts an deinen Fehlentscheidungen und an deinem persönlichen Versagen."
Genau in dem Moment, als Iskaii über die schützende Mauer sprang, wurde aus dem Sturm ein Orkan und senkte sich nieder. Er umschloss die beiden Frauen vollständig. Die schwarzen Nebelschlieren vermischten sich mit der Gewalt der Elemente. Freya spürte, wie ihr der Sauerstoff aus der Lunge gepresst wurde. Keuchend ging sie in die Knie und rang verzweifelt nach Luft, während Skadi wie eine Säule zwischen den Trümmern stand und dabei zusah, wie das Leben langsam aus Freyas Leib verschwand.
Die Blitze knisterten, als sie nur Millimeter neben Freya einschlugen. Sie spürte die Hitze, die von ihnen ausging und dass sie nichts von ihrer Energie abgaben. Der Boden bebte und brachte alles um sie herum zum Einstürzen. Die schützende Mauer gab unter der Last nach und einzelne Gesteinsbrocken wurden in den Wirbelsturm gezogen. Der Sturm steifte die anderen, welche langsam zurückwichen, wissend, dass kein Abstand der Welt ihnen Schutz bieten würde, sobald Skadi diese geballt gesammelte Energie freilassen würde.
Es war ein kaum sichtbarer Schimmer, der Liam zurückweichen ließ. Ein goldener Schein, der sofort zu einem undurchdringlichen Schutzwall explodierte und sich mit angenehmer Wärme über die Gruppe legte. Er bildete eine Schutzkugel, die den tosenden Orkan von ihnen abschirmte. Vor ihnen stand wie aus dem Nichts eine junge Frau, deren lavendelfarbene Haare durchnässt über ihren Schultern lagen. Daneben ein Schwarzhaariger, dessen Augen eisblau glühten.
„Ich dachte schon, ihr lasst uns hier sterben", entfuhr es Liam erleichtert.
„Ging nicht schneller. Es gab ein paar Komplikationen", erwiderte der Schwarzhaarige und grinste den Shieldzwilling breit an.
„Komplikationen? Diese Nichtskönner haben fast das ganze Schloss in Flammen aufgehen lassen", knurrte die junge Frau, um deren zitternde Arme goldene Schlieren flossen. „Scheiße. Sie zieht viel zu viel Energie. Ich kann das hier nicht ewig aufrechterhalten. Milano ... bring sie hier weg."
Doch ehe dieser sich in Bewegung setzen konnte, tauchte ein weiterer Mann auf. Er war hochgewachsen, trug breite Schultern und in seinen Augen waberten weiße Schlieren.
„Nein. Bring mich zu ihr."
Milano sah ihn mit erhobenen Brauen an. „Sicher?" Schlagartig verfärbten sich seine Augen, verloren all ihre Farbe und schwarze Sicheln zeichneten sich ab. Sie ähnelten Skàdis, nur waren seine nach unten geöffnet.
Der Schwarzhaarige hob entschuldigend die Hände. „War ja nur eine Frage. Sie scheint echt mies drauf zu sein."
„Meine Schwester ist in ihrem Sturm gefangen, also könntet ihr vielleicht", forderte Liam und zeigte ungeduldig auf den pulsierenden Orkan aus nunmehr schwarzen Wänden.
Sogleich nickte Milano, legte seinen Arm und den anderen Mann und einen Wimpernschlag später waren sie verschwunden. Liam hatte seinen nächsten Atemzug noch nicht beendet, als Milano wieder vor ihm stand und die nach Luft schnappende Freya in den Armen hielt. „Fuck ... ich habe das beschissene Licht meines Endes schon gesehen."
Liam schmunzelte, half Freya, sich auf ihre Beine zu stellen, und schloss sie dann in seine Arme.
„Widerlich süß", kommentierte die junge Frau, deren Arme immer stärker zu zittern begannen.
„Immer wieder eine Freude, dich zu treffen, Alice", sagte Freya und beugte sich vorn über.
„Kann ich nicht behaupten, denn jedes Mal, wenn es dazu kommt, steckt erst ihr in der Scheiße und dann wir."
Gleißend rotes Licht unterbrach die nicht so ernstgemeinten Anfeindungen und alle Aufmerksamkeit lag wieder auf den Geschehnissen vor ihnen. Alice schien ihren Schutzwall ein weiteres Mal zu verstärken, was sich das Zittern ausbreiten ließ.
„Schafft er das?", fragte Liam und zog Freya schützend an sich.
Milano sah besorgt zu dem Wirbelsturm, durch welchen sich nach und nach rote Schlieren zogen und das tiefe Schwarz aufhellten. „Im Normalfall würde ich ja sagen, doch nachdem sie sich heute früh schon nicht sonderlich gut verstanden haben...", er zuckte mit den Schultern, „Sagen wir es so: Alice hat euer aller Überleben gesehen, also warten wir ab, ob das auch auf die beiden zutrifft."
Er drehte sich um seine eigene Achse und sah dann erneut zu Liam. „Wie steht es um dieses Kaff, braucht ihr das noch?"
„Nicht zwingend, warum?"
Diesmal antwortete Alice, deren Atem mittlerweile schwer ging. „Ich denke nicht, dass sich diese Energie noch neutralisieren lässt. Mit Glück kann Tamo sie umlenken und ich euch schützen. Für den Rest könnte es durchaus ... beschissen aussehen."

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Kapitel 22

Im Zentrum des Wirbelsturms stand Tamo, um dessen Körper tiefrote Schwarten feinster Partikel strömten. Seine ausgestreckten Arme zitterten, während er versuchte, seine Macht in Skàdis einzuweben.
Sein Blick fixierte sie, doch auch er erhielt nicht mehr als ein höhnisches Lächeln. „Komm schon, Miststück. Atme endlich ein und beruhige dich wieder."
Ihre Antwort kam schweigend in Form eines neuen Energieschwalls, der sich gegen seinen kämpfenden Leib presste. Ein raues Stöhnen entfuhr ihm, bevor er die Zähne aufeinanderpresste und den Kopf in den Nacken legte.
„Du hättest nicht kommen sollen", hauchte sie federleicht, und wieder einmal wurde Tamo bewusst, wie unterlegen er war – zumindest in dieser Version von sich.
„Nun, es war nicht so, als hätte ich eine Wahl", brachte er keuchend hervor, stemmte alles an Willenskraft in seine Magiebewegungen und schaffte es zumindest, den aufsteigenden Druck ihrer Macht anzuhalten.
„Wir haben immer eine Wahl", erwiderte sie spöttisch und beschwor eisige Kälte hervor, die sofort in jede von Tamos Zellen kroch und ihn drohte zu lähmen.
Dieser schluckte, ließ seinen Blick erneut zu ihr wandern und das erste Mal seit langer Zeit ergriff ihn Angst. Angst, die ausnahmsweise nicht von Milano gesteuert wurde.
„Skàdi, was auch immer dir heute in den Kaffee gepinkelt hat. Hör auf. Bitte."
Nichts. Keine Reaktion. Sie stand völlig starr vor ihm. Die Sicheln in ihren Augen pulsierten im Takt ihres viel zu ruhigen Atems. Ihre Haut war blass und stand in einem grausamen Kontrast zu ihren grünen Haaren, die von den, immer weiter in den Boden krachenden, Blitzen erhellt wurden.
Seine Aufmerksamkeit wanderte zu dem Orkan und den roten Schlieren, die sich versuchten, um den Sturm zu legen. Ihn zu bändigen. Ihn zu neutralisieren. Doch er wusste und spürte bereits, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Nicht so. Nicht auf diese Art. Er hatte nur eine Möglichkeit. Nur eine Chance. Nur einen einzigen Versuch.
Würde er gelingen, könnte er sterben. Würde er fehlschlagen, wären wahrscheinlich alle anderen tot.
Er nahm sich einen kurzen Moment der Ruhe. Schloss die Augen und spürte in das schmerzende Brennen seiner Glieder. Er hatte diese Art von Energieaustausch ein einziges Mal gewirkt. Zu hoch war die Gefahr, es nicht zu überleben oder – schlimmer noch – zu ihm zu werden.
Doch er würde nicht den Tod tausender Unschuldiger auf sich nehmen.
Das Einzige, was ihm bevorstand, sollte er den Versuch überleben, war, dass sie angepisst sein würde, und das einzig auf ihn. Was wiederum zu seinem Tod führen konnte. Wenn man es genau nahm, war der Tod, egal bei welchem Ausgang, eine durchaus vorstellbare Option.
Er schüttelte den Kopf, bevor er sich weiter in den wirren Gedanken seines eindeutig schwächer werdenden Geistes verlor, und zog einen tiefen Atemzug ein. Es war ein sanftes Glimmen, tief in seinem Inneren. Verborgen und gut unter Verschluss gehalten, ruhte es und hatte aufgehört, ihn kontrollieren zu wollen, doch das würde sich in wenigen Augenblicken ändern. Es war ein kurzer Moment, in dem er die sorgsam darum errichtete Mauer fallen ließ. Ein einziger Gedanke an die Macht, die dort in ihm ruhte, und das schwache Glimmen explodierte in seiner Brust.

 Mit letzter Willenskraft zog er die roten Fragmente aus Skàdis Sturm, bündelte sie im Augenblick eines Wimpernschlags und richtete sie auf Skàdi. Diese realisierte zu spät, was er vorhatte. Was er bereit war zu ertragen. Ehe sie reagieren konnte, schlug seine geballte Macht auf sie ein. Durchdrang ihre Haut, durchflutete ihre Organe und manifestierte sich dort, wo ihre Seele sein sollte.
Ein markerschütternder Schmerzensschrei entfuhr Tamo, als die roten Fragmente von weißglühender Energie ummantelt und absorbiert wurden. Machtlos sah Skàdi dabei zu, wie diese auf sie zu rauschte, über sie hereinbrach und sich um ihre tosende Schatten legte. Skadi spürte den Einfluss des Fremden in ihr. Ihr Blick suchte seinen, doch er war längst verloren in seiner Macht. Sein gesamter Körper war ein einziges Beben. Sein Gesicht zeigte die Auswirkung der Qual, die der Kampf gegen sie forderte. Die Sicheln in seinen Augen flackerten und wurden immer blasser. Er war dabei, sich auszulöschen. Für sie.
Wut stieg in ihr auf, denn er setzte nicht nur sein Leben aufs Spiel. Knurrend zog sie langsam ihre Hände zu Fäusten. Kämpfte gegen die weiße Glut, die sich immer noch in ihr Innerstes fraß, doch es war zu mächtig. Sie vernahm keine Schmerzen. Spürte nicht die Ausläufer dieser Macht, doch sie erkannte die Niederlage darin. Ihr schwarzer Sturm wurde zu einer grauen Masse und bald würde es in einem weißen Rauschen enden. So wie Tamo. So wie sie.
„Hör auf", grollte sie.
Außerstande, auch nur ein einziges Wort zu formen, schüttelte er den Kopf und fiel auf die Knie. Kalter Schweiß stand auf seiner Haut. Ein sanftes Rinnsal Blut lief aus seiner Nase. Benetzte seine Lippen und bahnte sich den Weg über sein markantes Kinn.
„Du killst dich wirklich selbst, oder?"
Ein schmerzhaftes Keuchen war seine Antwort darauf.
Skàdi wusste, dass er nicht aufgeben würde. Er schützte sie. Für immer. Doch sie war auch nicht mehr in der Lage, ihn zurückzudrängen. Es gab nur noch einen Weg, den sie beschreiten konnten. Sie presste die Lippen aufeinander.
Würde wahrscheinlich abgrundtiefen Hass empfinden, wenn sie es noch könnte, und dann ließ sie los.
Sie kämpfte nicht mehr gegen seine Energie und forderte ihre eigene auf, sich mit seiner zu vereinen. Und so, wie dieser Gedanke jede Zelle ihrer Körpers durchflutet hatte ... hielt für einen winzigen Augenblick alles inne.
Die Blitze erstarrten, der Wirbelsturm blieb stehen. Kein einziger Tropfen Regen eroberte den Boden mehr. Kein Laut war zu vernehmen. Kein Rauschen der Energien. Nur stillstehende graue Masse, gemischt aus feinsten Fragmenten, bestehend aus schwarzer und weißer Farbe, und zwei schlagende Herzen. Zwei Menschen, die sich ansahen und in deren Augen keine Sicheln, sondern Kreise pulsierten.

„Nach oben", keuchte Tamo und kaum, dass die Worte seine Lippen verließen, rissen sie gemeinsam die Arme in die Luft.
Der Stillstand explodierte in einem wilden Reißen des Sturms, während der Regen und die Blitze versiegt blieben. Mit der letzten Kraft ihres geschundenen Körpers löste Skàdi den Sturm vom Erdboden, während Tamo ihn zusammenhielt. Stück für Stück erhob er sich in die dunkle Nacht und erst als er hoch oben, geschützt in dem Himmelszelt verweilte, trafen sich ihre Blicke erneut.
„Jetzt", hauchte sie und mit einer ohrenbetäubenden Explosion entlud sich die angestaute Energie und erhellte den Himmel intensiver, als es die Sonne jemals geschafft hätte. Die Druckwelle ließ alles um sich erben, streifte die Menschheit aber nur als starken Windzug, der kaum in der Lage war, ein Blatt hinfort zu tragen.
Tamos Blick ruhte immer noch auf Skàdi, deren Iriden nun wieder ihr gewohntes, strahlendes Grün besaßen. Ein Lächeln zuckte an ihren Mundwinkeln, als sie aus den Trümmern der Ruine stieg und auf ihn zu lief. Ihr Blick wanderte einen kurzen Moment über die Trümmer und den angerichteten Schaden.
„Was zur Hölle, war hier los?", fragte er, als sie neben ihn trat.
Sie hob eine Braue. „Ghule Invasion", erwiderte sie und zuckte dabei locker mit den Schultern, als wäre sie nicht vor wenigen Sekunden noch davor gewesen, den Planeten auszulöschen.
„Ah ja." Er erhob sich, klopfte sich den Dreck aus den Jeans und begegnete abermals ihren Blick. Etwas Dunkles und Drohendes lag darin, als sie sich zu ihm lehnte. „Das nächste Mal, wenn du dich meines Körpers bemächtigst, stirbst du." Und mit diesen Worten wandte sie sich ab und verschwand allein über die Trümmer in die zurückgekehrte Dunkelheit der Nacht.
Ein fassungsloses Lächeln zuckte über seine Lippen, als er ein leichtes Kribbeln im Nacken verspürte. „Niemand hat gesagt, dass es einfach wird", raunte Milano ihm zu, legte dabei seinen Arm um Tamo und mit dem nächsten Atemzug waren sie verschwunden.

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Kapitel 23

Zögernd regten sich die Gestalten hinter der Friedhofsmauer. Mit angehaltenem Atem spähten sie vorsichtig durch die Spalten und Löcher im zerbröselten Stein. Das Herz schlug ihnen bis zum Hals, als sie versuchten, einen Blick auf das Chaos zu erhaschen, das dahinter lag.
„Ist es vorbei?" Jasons Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch sie zitterte unter dem Gewicht der Angst, die ihn durch diese schreckliche Nacht begleitet hatte. Sein Blick wanderte unruhig über die zerstörte Ruhestätte. Überall lagen zertrümmerte Grabsteine und umgestürzte Kreuze. Der Boden war von Kratern durchzogen.
„Es scheint so", murmelte Dean und richtete sich langsam auf, seine Glieder steif vor Anspannung. Mit einem Seufzen begann er, sich den Dreck und den Staub von seiner Kleidung zu wischen, doch schon nach wenigen Sekunden gab er auf. Seine Hose war zerrissen, seine Jacke mit tiefen Schrammen übersät, als hätte sie den Angriffen gerade so standgehalten.
„Super", fügte er trocken hinzu, während er die Reste seines Shirts betrachtete. „Die Sachen kann ich wohl nur noch verbrennen."
Liam ließ ein leises, fast nervöses Lachen hören.
„Sieh es positiv", sagte er, während er sich geschmeidig erhob und in einem einzigen Schwung über die nun recht wackelige Mauer sprang. Die Steine unter seinen Füßen wankten gefährlich, doch er schien das Gleichgewicht mühelos zu halten. „Du könntest jetzt auch tot sein." Er warf einen kurzen Blick auf seine Schwester, die ihm mit einem schwachen Lächeln folgte. Ihre Augen hatten einen dunklen, erschöpften Ausdruck, als wäre ein Teil von ihr noch immer tief in der Angst gefangen, die sie in den letzten Minuten umklammert hatte.
„Danke, dass du das nochmal so deutlich sagst", brummte Dean, aber der scharfe Ton in seiner Stimme verriet eher Erleichterung als echte Verärgerung.
"Wo er recht hat", murmelte Samantha leise, während sie einen traurigen Blick auf ihre völlig zerschlissenen Chucks warf. Der Stoff an den Seiten war aufgerissen, die einst weißen Gummisohlen waren nun mit einer Schicht aus Schlamm und Blut verschmiert. Ein dumpfer Schmerz zog sich durch ihre Füße, doch das war nichts im Vergleich zu der Müdigkeit, die ihr schwer auf den Gliedern hing.

"Beim nächsten Mal, wenn Jen uns ruft, komme ich in alten Jogginghosen und ausgelatschten Turnschuhen. Warum gebe ich mir überhaupt noch Mühe?"
Dean schnaubte abfällig und hob eine Augenbraue, während er versuchte, das Gewicht der letzten Stunden abzuschütteln.
"Das nächste Mal? Vergiss es, Sam. Für diese Irre rühre ich keinen Finger mehr. Ich hänge auch mit Ü30 noch an meinem Leben." Er fuhr sich durch das verkrustete Haar und blickte über die kleine Gruppe hinweg in den nun aufgeklarten Nachthimmel. Eine schwache Brise strich über den Friedhof, trug den Geruch von zerfallendem Fleisch und verbrannter Erde mit sich.
Samantha wollte widersprechen, irgendetwas dazu sagen, um den bitteren Nachgeschmack von Deans Worten zu mildern, doch Freya ließ sie innehalten.
"Hey!", rief diese von der anderen Seite. "Wollt ihr da weiter quatschen oder verziehen wir uns endlich?" Ihre Stimme klang angespannt, fast nervös. Kein Wunder, dachte Samantha. Nach allem, was sie hier durchgemacht hatten.
Sie wechselten Blicke, keiner sprach ein Wort, aber in ihren Augen lag die gleiche Frage: Wie sind wir hier reingeraten? Mit einem fast synchronen Seufzen sprangen sie über die bröckelnde Friedhofsmauer. Die Muskeln brannten von der Anstrengung, doch das Adrenalin in ihren Adern hielt sie wach.
Als sie schließlich auf der anderen Seite der Mauer standen, blieb ihnen der Atem kurz in der Kehle stecken. Der Anblick, der sich ihnen bot, war schlimmer, als sie erwartet hatten. Ihre Augen weiteten sich und für einen Moment schien die Welt um sie herum stillzustehen.
Die Krypta, die einst wie ein stiller Wächter über den Gräbern thronte, lag in Trümmern. Sie war in tausend kleine Stücke geborsten und die Fragmente waren überall verteilt, als hätte eine riesige Hand das Gebäude einfach zerrissen. Die Grabsteine waren wie Spielzeugklötze zerschmettert, einige lagen umgestürzt auf dem lehmigen Boden, während andere einfach in der Mitte zerbrochen waren. Die Bäume, die jahrhundertelang über die Gräber gewacht hatten, waren entwurzelt, ihre riesigen Wurzeln ragten in grotesken Winkeln in die Luft.
Doch das Schlimmste waren die Überreste der Ghule. Hunderte von ihnen, vielleicht mehr, lagen in grotesken Haufen verstreut über dem Friedhof. Ihre grauen, verwesenden Körperteile klebten an den Mauern, bedeckten den Boden und hingen sogar in den Ästen der umgestürzten Bäume. Der Gestank war kaum zu ertragen.
"Skàdi hat ganze Arbeit geleistet", raunte Jason leise, sein Blick fixierte sich auf einen besonders großen Ghul, dessen Torso wie ein ausgeweidetes Tier an einem Baum hing. Sein Körper war von tiefen, gezackten Schnitten übersät. Jason nickte langsam, fast ehrfürchtig, während er das Ausmaß der Zerstörung betrachtete. Die Luft vibrierte noch immer vor der unbändigen Macht, die hier gewütet hatte.
Iskaii, der bisher still gelauscht hatte, strich gereizt eine klebrige Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Lasst uns aus dieser verfluchten Welt verschwinden", knurrte er, seine Stimme rau und voller Groll, "und nie wieder einen Fuß hierher setzen."
Er wollte sich abwenden, doch das leise Räuspern hinter ihm ließ ihn innehalten. Es war kaum mehr als ein Hauch und doch reichte es, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen.
Samantha zögerte, während sie unter den Blicken der Gruppe förmlich zu schrumpfen schien.
"Die Ghule waren nicht die einzigen, die in dieser Krypta hausten", murmelte sie schließlich, ihre Stimme brüchig und leise, als hätte sie Angst vor ihren eigenen Worten. Ihre Augen suchten Halt in den Gesichtern der Umstehenden, fanden aber nur Besorgnis und wachsendes Misstrauen.
Freya, deren Gesicht von Dreck, Schweiß und getrocknetem Blut gezeichnet war, zog die Augenbrauen zusammen. Der Unmut und die Müdigkeit standen ihr ins Gesicht geschrieben und sie konnte ihre Frustration kaum verbergen.

"Was meinst du damit?", fragte sie mit einem leisen Brummen, das mehr einer Herausforderung als einer wirklichen Frage glich.
Samantha biss sich nervös auf die Unterlippe, als sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
"Erinnerst du dich an die Leichenteile im Grab? Die Gliedmaßen, die darin verstreut lagen? Und irgendwo tief in dieser verfluchten Krypta haben wir eine Folterkammer gefunden."
Eine drückende Stille legte sich über die Gruppe, als Samanthas Worte die Luft erfüllten. Sie atmete tief durch und fuhr fort, ihre Stimme nun kaum mehr als ein Flüstern: "Ghule foltern nicht. Und sie vergraben ihre Reste auch nicht."
Dean starrte sie an, als hätte sie ihm gerade etwas Unsägliches enthüllt. Seine Augen weiteten sich und er schüttelte ungläubig den Kopf, bevor er abrupt nach Luft schnappte.
"Whoa, Whoa, Whoa, Sam ... willst du damit sagen, was ich glaube, dass du sagen willst?"
Jason, der sich im Hintergrund gehalten hatte, begann unruhig von einem Fuß auf den anderen zu treten. Ein unangenehmes Gefühl kroch in ihm hoch, während er Samanthas Worte langsam verarbeitete.
„Wenn sie das sagen will, dann sind wir noch nicht fertig, oder?", fragte Liam mit rauer Stimme, während seine Augen unter den dichten, zerzausten Haaren hervorblitzten.
Freya straffte die Schultern und funkelte ihn an. Ihre Kiefermuskeln spannten sich an, während sie jedes Wort wie Gift ausspuckte.
„Wir sind hier sowas von fertig," knurrte sie. „Egal, was in dieser beschissenen Gruft noch abging, es ist nicht unser verficktes Problem. Sollen unsere beschränkten Schöpfer sich damit herumschlagen."
Dandelia, die bisher nur beobachtend am Rande stand, trat einen Schritt vor. Ihr Gesicht, von einer Mischung aus Mitleid und Bestürzung gezeichnet, war blass, aber ihre Augen leuchteten vor Entschlossenheit. Sie schüttelte fassungslos den Kopf, während ihre hellblonden Haare wie ein Lichtschimmer in der Düsternis wirkten.
„Ist das Euer ernst?" Ihre Stimme zitterte leicht, nicht aus Angst, sondern aus Wut über Freyas Abweisung. „Wenn jemand inmitten einer Horde Ghule Menschen gefoltert hat, dann muss er noch grausamer und tödlicher sein als diese Kreaturen."
Liam sah zu Dandelia hinüber, seine Stirn runzelte sich skeptisch.
„Wie kommst du darauf?"
„Wie hätte er dort überleben sollen?" Dandelias Augen blitzten auf und ihre Stimme nahm an Schärfe zu. „Inmitten unter ihnen? Sie müssen ihn gefürchtet haben."
Freya explodierte förmlich.
„Bullshit!", rief sie, ihre Augen funkelten vor Zorn und ihre Nasenflügel bebten. „Die haben den dämlichen Wichser längst gefressen! Wir sind hier fertig!"
Mit einem verächtlichen Zischen auf den Lippen drehte sie sich abrupt um, so schnell, dass ihr langer Zopf wie eine Peitsche durch die Luft sauste und einmal um ihren schlanken Körper flog. Mit schnellen, entschlossenen Schritten steuerte sie auf den Ausgang des Friedhofs zu.
"Freya!" Samanthas Stimme hallte über die zerstörte Grabstätte. „Das Blut und die Leichen da unten waren frisch! Wer auch immer dort Menschen foltert, ist ..."
Freya warf einen kurzen Blick über die Schulter.
„Juckt mich einen Scheiß!", schnappte sie, während sie ihren Mittelfinger über die Schulter hob und ohne das Tempo zu drosseln weiterging. „Auf mich wartet eine heiße Dusche und mindestens zwei Liter Whiskey!"
„Mir gefällt ihre Idee", sagte Jason, als ob er gerade über das Abendessen nachdachte und nicht über das Blutbad, das sie soeben überlebt hatten. „Die Krypta ist in die Luft geflogen. Vielleicht der Kerl gleich mit. Wer weiß." Er zuckte mit den Schultern, hob eine Hand, als wäre alles nur eine Kleinigkeit, winkte der Gruppe lässig zu und setzte sich dann gemächlich in Bewegung, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
Liam war der Nächste, der die Gruppe verließ. Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen, als ob das Ganze ein belangloser, schlechter Scherz gewesen wäre, hob er die Hand zum Abschied.
„War nett, euch kennenzulernen, auch wenn andere Umstände bestimmt angenehmer gewesen wären", sagte er fast beiläufig und schenkte Samantha einen entschuldigenden Blick. „Ich schließe mich meiner Schwester an und plündere den Whiskey-Vorrat."
Seine Worte klangen in ihren Ohren nach, während er sich von der Gruppe abwandte. Samantha stand da, ihr Herz raste, und in ihr tobte ein Sturm aus Unglauben und Wut.
"Echt jetzt?", flüsterte sie, ihre Stimme von Enttäuschung durchtränkt, als sie den Dreien nachsah.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen begann Iskaii ebenfalls, sich in Bewegung zu setzen.

„Was wird das?!" Die Rothaarige wirbelte herum, ihre Augen glühten vor Zorn.
„Ich kehre zurück in meine Welt und werde diese hier gewiss nie wieder betreten." Er machte einen Schritt nach vorne, blieb jedoch plötzlich stehen, als würde ihn ein innerer Sturm zurückhalten.
„Außer...", fügte er nach einem Moment des bedrohlichen Schweigens hinzu, „außer, um Jen persönlich meine Klinge in ihr verdorbenes Herz zu rammen." Die Worte kamen leise, aber wie ein Dolch in der Nacht. Seine Lippen verzogen sich zu einem harten, kalten Lächeln.
„Iskaii!" Dandelias eisblauen Augen funkelten, als sie ihm einen eindringlichen Blick zuwarf. „Du kannst nicht einfach davonlaufen."
Iskaii drehte sich langsam zu ihr um, seine Miene so hart wie Stein. „Ich laufe nicht, wie du siehst."
„Du weißt, was ich meine", fauchte sie und rollte genervt die Augen. Iskaii zuckte nur mit den Schultern, der Hauch eines bitteren Lächelns auf seinen Lippen.
„Verweile, wenn es dir beliebt", sagte er ruhig, als wäre ihre Gegenwart für ihn von geringer Bedeutung. „Aber mir ist das Schicksal dieses Ortes gleich. Soll dieser Folterknecht seinen Blutdurst an dessen Bewohnern stillen. Es ist mir gleich."
„Irgendwie haben sie recht", mischte sich Dean ein, seine Stimme seltsam lässig angesichts der angespannten Atmosphäre.
„Was?"
Er hob unschuldig die Hände, als wollte er die Schärfe ihres Blicks mildern.
„Jeden Einwohner, den dieser Irre killt, killen unsere gestörten Schöpfer nicht. Weniger Arbeit für uns, weniger verlorene Nerven." Er zuckte mit seinen breiten Schultern, als ob das alles eine banale Logik sei. „Lassen wir ihm den Spaß."
„Dean, du bist ein Scheiß-Cop", stieß Samantha mit scharfer Stimme hervor. Dean erwiderte ihren Blick nur kurz, dann schüttelte er den Kopf und zwang ein halbherziges Lächeln auf seine Lippen – es war nichts als eine schale Entschuldigung, die in der Luft hängen blieb.
„Sorry, Sam", murmelte er, den Blick abgewandt. „Nicht in diesem Universum. Auf mich wartet in unserer Welt noch genug Ärger. Ich brauche diesen hier nicht auch noch." Seine Stimme klang hohl, als würde er versuchen, die Schwere der Situation herunterzuspielen.
Samantha öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber die Worte blieben in ihrer Kehle stecken. Stattdessen war es Dandelia, die neben ihnen stand und seit Minuten wortlos auf das brüchige Grabmal vor ihnen starrte, die schließlich sprach. Ihr Blick lag schwer auf Dean, aber auch ein Funken Verständnis glomm darin auf, als sie zu Samantha sah.
„Vielleicht hat er recht", sagte sie leise, doch ihre Stimme schnitt durch die unheimliche Stille wie ein Messer. „Dies ist nicht unsere Welt. Es ist nicht an uns, das Unrecht hier zu bekämpfen. Haben wir nicht schon genug Tod und Zerstörung in unseren eigenen Welten gesehen?" Ihre Augen, in denen sich das Leid ganzer Leben widerspiegelte, wanderten zu den gebrochenen Grabsteinen um sie herum, dann zurück zu Samantha. „Wollen wir uns wirklich noch die Finsternis dieser Welt auf die Schultern laden?"
Samantha wusste, dass Dandelia recht hatte. Und doch... Etwas in ihr sträubte sich dagegen, einfach zu gehen. Einfach so abzuhauen, ohne auch nur einen Versuch zu machen, die Schrecken, die hier lauerten, aufzuhalten.
Sie seufzte tief, das Geräusch schwer und resigniert. Ihre Schultern sanken ein wenig, als sie schließlich ein kurzes, fast unmerkliches Nicken gab.
„Fein", sagte sie, die Worte schmeckten bitter auf ihrer Zunge. „Wir verschwinden von hier."
Gemeinsam setzten sie sich in Bewegung, ihre Schritte hallten dumpf auf dem feuchten Boden des verwüsteten Friedhofs.
Doch in der Eile, diesen verfluchten Ort hinter sich zu lassen, bemerkten sie nicht, wie sich die Schatten in den Ecken zu rühren begannen. Dunkle, verzerrte Gestalten krochen aus den Winkeln des Friedhofs hervor, lautlose Schrecken, die sich mit jeder Bewegung dem großen Riss in der Mauer näherten. Ein leises Flüstern lag in der Luft, kaum hörbar, und doch so durchdringend, dass es wie ein Kratzen auf der Seele brannte.

ENDE...

... vielleicht ... wer weiß das schon

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